Ich bremse auch für Wessis

Ich bremse auch für Wessis

Kreatives Schreiben

„Ich bremse auch für Wessis“ ist ein politischer Text. Ein Versuch einer sa-tierischen Stellungname eines Ostdeutschen. Eine Stellungname über die polarisierende Berichterstattung zur Bundestagswahl 2025. Gemeint sind hier gewisse Info-Grafiken, die durchaus einen falschen Eindruck vermitteln können.

Ich bremse auch für Wessis

ins Hochdeutsche übertragen

 

„Hey Horst, sag mal, hab ich’s nun bei deiner Alten verschissen? Weil ich doch Gestern erst mit der Kleinen vom Maxn seinem Bruder schwofen war anstatt mit ihr?“
„Ach, das weiß ich, ehrlich gesagt, nicht so genau. Auch wir haben grad dicke Luft zu hause. Das kann ich dir aber sagen. Und meine Fersen tun mir sowas von weh du, weil die doofe Kuh mir mal wieder nix gönnen kann und mir gestern erst vor Wut mit der Sackkarre hinten rein gerauscht ist. Och nee du, dieser Schmerz hämmert mir noch mein Hirn aus dem Kopf.“
„Hast du denn wenigstens die Frau Doktor Helga angerufen, damit sie dir etwas dagegen spritzen kann und weil du dann doch immer diese Stress-Quaddeln von den Schmerzattacken bekommst?“
„Nein, soweit war ich mit dem Kopf noch nicht. Da war nämlich noch zu viel vom Tanzabend im Blut und schwummerich vom Vorabend war mir auch noch.“
„Ohje.“

„Ja. Aber sag mal, hast du mir das Tannenzäpfle-Bier vom Globus mitgebracht?“ Ich brauche nämlich dringend noch nen Drehwurm für morgen, weil dann Zahltag ist. Die Stütze soll morgen überwiesen werden, und auf meinem Konto schauts momentan aus wie in einer nach nem Sandsturm leergefegten Wüste.“
„Nein habe ich nicht. Es ist doch aber auch erst 11.30 Uhr. Die strahlende Sonne zeigt sich seit Wochen zum ersten Mal wieder hoch oben am wolkenlosen Himmel. Und die Glückszahlen sind noch nicht durch den Nachrichten-Ticker gerauscht. Und es gibt nachher noch Froschschenkel aus dem Eisfach. Die sind mir erst kürzlich als Angebot in den Hackenporsche hinein gehüpft und haben mich natürlich vorher nicht gefragt.“
„Igitt, nee! Das kannst du alleine essen. Ich bin doch kein Franzmann, auch wenn ich noch allzugut weiß, wie man es nem anderen auf Französisch macht.“

„Oh, du alter Lüstling!“

„Ich? Ähm nicht wirklich. Aber als wir damals als Jungspundies im Segen von Honecker mit der ganzen Abschlussklasse von der Berufsschule auf einem Ausflug in Schnarrtanne gewesen sind, da haben wir die Klassen-Unke als Aufpasser vor die Tür unserer Hütte gesetzt und haben dann miteinander Flaschendrehen für Erwachsene gespielt.
Also ich meine, wir waren ja alle vom Alter her schon Achtzehn.
Jedenfalls als ich dann endlich drangekommen bin, haben sie mich nackig gemacht und zur Belustigung der Weiber in den Lostopf gesteckt. Und dann haben sie mich in meinem Adamskostüm mit ihren grabschenden Fingern überall betatscht und begrabbelt.“
„Und?“
„Na nichts und! Ich habe nen Ständer bekommen und eine von den Mädels hat mir dann einen runtergeholt.“
„Uh …“
„Jahaaa, davon träume ich heute noch, wenn ich keinen mehr hochbekomme. Meine Alte lässt mich ja immer nur sonntags vor der Sportschau über sich drüber rutschen“
„Deine Alte oder meine Alter oder wie nun?“
„Ist das denn wichtig auf unsere alten Tage?“
„Hmmm …“

—————–

„Hier, aber sag mal, hast du schon gehört, dass der Helga ihr Mann erst neulich wieder einen Hoax losgetreten hat?“
„Äh, was bitteschön?“
„Einen Hoax.“
„Was ist denn das? Das habe ich ja noch nie gehört.“
„Na der hat doch dem alten Bürgermeister per digitaler Postwurfsendung mittels einer Virulenzia für den Computer verklickert, dass dem die Nase abfallen würde oder gar schlimmeres, wenn er noch einmal kandidieren würde, ohne sich vorher den Segen von der Helga ihrem Mann und seinen Leuten von der Werkstatt schräg gegenüber vom Becker Menzl abzuholen.“
„Ach, und das stimmt tatsächlich?“
„Nein, natürlich nicht! Es war ja ein Hoax.“

 „Aha. …
Aber ist denn der Helga ihr Mann nicht einer der Guten? Ein Guter unter den Besten? Und der will doch eigentlich nur Gutes für unsere Dorfgemeinschaft oder? So wie der sich hier für das Leben in der Gemeinschaft unserer freien Bürger engagiert?
Jaaaa, seine Jungs sind manches Mal ein bisschen forsch unterwegs, aber die würden unserer einer doch kein Haar krümmen, denn wir gehören doch sozusagen durch unsere Alte zu deren Familie, oder? Und die schreibt doch der Mann von der Helga groß, größer, am größesten, so konservativ wie der ist. Oder?“

 „Findest du?“

„Nicht? …
Naja, jedenfalls liegt er mir ständig in den Ohren, dass ich meine, äh, unsere, Alte wieder mehr zum Herd hinzitieren soll, weil er eben meint, mir würde das nicht stehen, also ich meine die Arbeit in der Küche. Ich sollte, seiner Meinung nach, doch lieber zu seinen Kumpels in die Werkstatt kommen, um mit ihnen an den Maschinen zu schrauben und gemeinsam dort abzuhängen.“

„Äh, aber das ist doch eigentlich gar nicht dein Ding, in mit Motorenöl verschmierten Klamotten herumzuhängen, die du nie wieder sauber bekommst und über Mechanik und nackte Weiber und Sex und Pornos und über Probleme zu Hause oder über Politik zu philosophieren. Oder?
Du komponierst doch lieber in deiner Küche, so dass du den Teig vom Kuchen so harmonisch wie möglich kreierst, damit alle glücklich und zufrieden und satt davon werden.
Oder sollte ich mich in dir täuschen?
Am Ende wirst du dich noch – so wie die Mechaniker-Jungs, wenn ihr Boss sie mit Worten und Stoff dazu ermutigt – mit ner sprichwörtlichen Kettensäge aufmachen und die Leute im Dorf in ihrer freien Meinungsäußerung bedrohen wollen?
Das kann ich mir, ehrlich gesagt, bei dir gar nicht vorstellen. Und ich glaube, ich kenne dich schon lange genug, um mir darüber eine Meinung bilden zu können. Also einige Jahre jedenfalls, will ich meinen.“

„Naja, ach, ich weiß auch nicht so recht.
Ich lasse ihn jedenfalls seinen Sermon reden und mache eben mein Ding weiter. Solange es jedenfalls geht und ich nicht irgendwann Gefahr laufe, auf seiner Abschussliste zu landen. Und ich glaube nicht, dass es besonders ratsam wäre, da drauf zu stehen.
So ein lieber Bester ist der nämlich gar nicht, wie er immer tut. Ich glaube, das ist alles nur Fassade. Das sage ich dir jetzt mal im Vertrauen unter uns. Der kann nämlich auch noch ganz anders, wie ich es neulich über Buschfunk der Gerüchteküche gehört habe. Da gebe ich dir mein Ehrenwort drauf und noch nen Brief und nen Siegel mit dazu.“

„Und was sollen wir jetzt deiner Meinung nach machen? Den werden wir hier im Ort doch nie wieder los. Der hat sich hier doch längst eingenistet wie ein wucherndes Geschwür in unserer schönen Dorfgemeinschaft und droht unter der Hand den Leuten, die sich nicht seinem Willen und seiner Meinung fügen wollen. Und es ist auch längst kein Geheimnis mehr, wie der drauf ist, wenn er blau ist und braune Scheiße labert.“

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 „Übrigens haben die neulich einen Toten aus der Torfgrube im Wald geborgen. Der war völlig unbekleidet und hatte auch gar keine Papiere bei sich, sagen sie. Und irgendein Witzbold hat dem dann noch nen Spruch mit roter Farbe auf den Körper gesprüht.“
„So? Was denn für einen?“
„Na, der Buschfunkt meint, das da drauf zu lesen stand: ‚Ich bremse auch für Wessis‘“
„Oh“
„Und dann habe ich gehört, dass sie der Helga ihren Mann zum Verhör abgeführt haben und ihm im Ermittlungseifer damit gedroht haben, dass er mit Karacho in den Bau einfahren wird, wenn er nicht gesteht und es dennoch zur ordentlichen Verhandlung vor Gericht kommt.“

„Aber wer soll dem denn das Handwerk legen? Die ortsansässige Justiz ist doch auch nur befangen, wenn du es dir recht überlegst. Befangen von der Jahre- und Jahrzehntelangen Unterwanderung durch die Getreuen vom Guten, dem Mann von der Helga.
Oder etwa nicht?
Wenn wir mal ganz ehrlich miteinander sind und realistisch an die Sache herangehen, hat der doch längst den Dolch hinterm Rücken gezückt und will mit seinen Gefolgsleuten allerseits an die Macht.“
„So wie Ehlendiels Erben? Oder wie hießen die denn gleich noch mal, in diesem einem Kinofilm von damals?“
„Nein! Eher wie ehlentitäre Bürger des Landes.“
„Ach, keine Ahnung von nichts ich habe. Ist mir aber letzten Endes auch egal, solange sie mich nicht weiter belästigen in unserem kleinen Paradies und mich und dich und unsere Alte in Ruhe lassen, ist doch alles in Ordnung? Oder was meinst du dazu?“
„Naja, aber wenn die dann am Ende auch nicht mehr für uns bremsen? Für uns armen, alten Ossis aus der wohlmeinenden Nachbarschaft? Dann können wir nur noch Gute Nacht sagen und uns zur letzten Ruhe betten und einpacken. Dann schmelzen die letzten Barrieren zwischen Himmel und Höllenschlund und nichts bleibt mehr so, wie es mal war.“

„Ohje. … Komm, lass uns lieber über was anderes reden. Das macht mich sonst noch ganz depressiv. Und ich habe auch schon wieder Druck.
Lass uns im Bett unter der Decke kuscheln und hol deine Alte mit dazu! Dann kann ich wieder Glückshormone sammeln.“
„Genau! Scheiß auf die Welt da draußen, wir haben unseren eigenen Mikrokosmos hier drinnen.“

————

„Ach, weißt du noch?“
„Nö, was denn?“
„Na als du der Helga ihrem Mann die Fresse poliert hast, und er am Ende im Gesicht so blau ausgesehen hat, wie seine Kumpane eine braune Gesinnung haben, wenn die mal wieder das Dorf mit ihren Parolen und Pöbeleien drangsaliert haben.“
„Ach ja, das waren noch Zeiten. Nicht schön, hat aber Spaß gemacht, damals, dieser Socke endlich mal ordentlich die Meinung zu geigen. Auch wenns uns am Ende gar nix gebracht hat außer einer gebrochenen Nase und gehörige Prellungen am ganzen Körper.“
„Wieso?“
„Na, die Domspatzen pfeifen es doch längst von den Wolkendächern.“
„Öhm, was denn?“
„Das wir die Bösen sind. Wir die dummen Ossis, die von der Stütze leben und zu faul sind zum Arbeiten.“
„Wieso das denn?“
„Na, weil wir sie in den Augen der Wessis damals erst salonfähig gemacht und gewählt haben. Wir, die wir ihre teilweise braune Gesinnung damals nicht wahrhaben wollten, weil deren Fassade mit modern blauer Farbe angepinselt war und sich mit einem netten Lächeln aus der Nachbarschaft auf den Plakaten präsentierte.“
„Nee, du vielleicht, aber ich nicht. Ich war immer gegen diese Brut und wollte rein gar nix mit deren Machenschaften zu tun haben. Aber jetzt ist der Drops eh gelutscht.“
„Ja, jetzt ist er gelutscht“
„Jetzt haben sie wirklich, aber auch wirklich alle Straßen, alle Häuser, alle Spielplätze und Kindergärten und Schulen, alle Gemeinden, Dörfer, Orte und Städte, ja sogar alle Landstriche und Wälder und Seen und so mit ihrer blauen Farbe übertüncht und sind auch noch stolz drauf. Jetzt brauchen die Nachrichten-Heinis die Statistiken nicht mehr manipulieren. Denn es gibt nix mehr zu polarisieren. Iss eh nur noch alles ein blauer Einheitsbrei.“
„Ach, du meinst, wir waren damals gar keine homogenen Ostdeutschen?“
„Nein.“
„Aber man wollte, dass es so ausschaut?“
„Ja.“
„Und uns zum Sündenbock abstempeln und irgendwann auch zum Feindbild?“
„Ja.“
„Und warum interessiert uns das jetzt noch?“
„Weil die dasselbe nun auch noch hier im himmlischen Paradies abziehen wollen. Und dagegen müssen wir jetzt was tun!“
„Aha.“

 

© CRSK, LE, 03/2025

„Du Oarsch!

„Du Oarsch!

Kreatives Schreiben

Du Oarsch! ist ein emotionaler Text über psychische Nöte und Krisen. Lisa ist sauer und Lynn ist durch den Wind.

Kreatives Schreiben

Die Vertonung von Come on.

„Du Oarsch!

Du saubleeder Saupreiß due! Dia woasch i die Oahrwoaschln mit Chili und Knofi, wenn du dir noch oan Schritt vors Brett woagst! Des soag i diar und geb diar Brief und Siegel draaf. Du Depp!“, schimpfte Lisa lauthals mit sich selbst und knallte dabei mehrfach ihre immer wieder aufflammende Wut gegen Wände, Türen und Fenster des Hauses.
Nichts, aber auch wirklich gar nichts hatte sie dazu bewegen können, noch einmal ruhig auszuharren und die drohend befürchtete Misere auch weiterhin geduldig abzuwarten. Denn sie hatte die Nase im wahrsten Sinne des Wortes vor lauter Verschnupfung und Verkopfung gestrichen voll.
Seit Tagen schon träumte sie vom Bau der drohenden Klagemauer in Lynns Wahlheimatstadt und bekam schließlich gestern Morgen in aller herrgottsfrühe die fette Schlagzeile darüber brühwarm von ihrem und Lynns Händie serviert.
Die Klagemauer über ihre ewige Farce mit der gefühlten Endloswarterei auf Godot. Auf den Augenblick, der ihr sagen würde: Ja, es ist alles gut. Oder: Ja, es wird alles gut. Oder: Ja, es wird alles gut und wenn es noch nicht gut ist, dann ist es noch nicht das Ende. Oder what ever for positive Thinking in dieser diesjährig nasskalten Weihnachtszeit.
Sie schlug mit der flachen Hand auf Lynns Küchentisch und brüllte: „Ich hob die Schnauzn voll! Miar egal, ob i heit oder moargn oder übermoargn Post bekomme. I mog nimma! I mog miar nimma den Oarsch aufreißn, damit am Ende irgndwer an mi denkt oda au ned.“

Lynn schluckte und knetete sich nervös die Hände. Er wusste um den Frust seiner Lisa und konnte die Heftigkeit darüber recht gut nachvollziehen. Schließlich ist er erst kürzlich selbst mit den Unwegsamkeiten seiner und ihrer Psyche Schlitten gefahren, als er im Norden unterwegs gewesen war, um die Unterlagen für seine weiteren Schritte der Transition zusammenzusammeln.  
Da war es ihm wie ein zwischenzeitlicher Serverausfall seinerseits vorgekommen, als ihm seine insgesamt überspannte Wahrnehmung plötzlich seine alten Urängste von damals suggerierte und ihm vorgaukelte, wieder im Wahn gefangen zu sein. Im Wahn darüber, nicht geliebt und verlacht zu werden, es verkackt zu haben und vertrackt zu sein. Im Wahn darüber, nicht akzeptiert und toleriert zu werden. Im Wahn, Angst vor der Angst haben zu müssen. Und im Wahn, sich nicht im Leben zurechtzufinden und gänzlich allein damit zu sein, keine Freunde zu haben und niemanden, der an seinem Leid teilhaben wollte. Und auch im Wahn darüber, alles falsch gemacht zu haben in seinem bisherigen Leben.

Lynns Puls galoppierte ihm davon, wenn er daran dachte, dass er auf dieser Reise den Teufel in sich gefühlt hatte, wie er ihm Hörner aufgesetzt, den Pferdefuß angezogen und den Rattenschwanz an Zweifeln hinter ihm hergezogen hatte, um ihn durch die Altstadt zu treiben und den Jüngern seiner Vergangenheit als hoffnungslosen Narr vorzuführen.
So sah er sich wieder und wieder rücklings auf der Spielzeugbahn des Christkindlmarktes vor Ort sitzen und nackt in der Seele quer über den Festplatz rattern. Damit auch ja niemand auf die Idee kommen könnte, ihn ernst zu nehmen in seiner Wahnhaftigkeit vom Heiland der milden Gaben, an denen man sich laben konnte, wenns einem Mal frierte und man das Leid des Zweifels gebierte.

Enttäuscht über sich selbst schloss Lynn schließlich die Augen und griff nach der Hand seiner Lisa. „Komm! Lass uns verschwinden und verwinden das Leid dieser Tage! Lass uns das Kämmerlein im geschmerzten Herzen verbinden und lass uns winden die Wunden mit bunter Farbe, so dass wir zumindest innen fröhlich sind.

© CRSK, Le, 12/2024

Die Säuernis von ranziger Butter

Die Säuernis von ranziger Butter

Kreatives Schreiben

Die Säuernis von ranziger Butter ist ein Text, der von einem Platzhahn und seinen „willigen“ Hennen erzählt und einem Steckbrief über einen Buttersäureanschlag, den ihm am Ende die wahrheften Hirschhennen ins zerzauste Federkleid stecken.

Die Säuernis von ranziger Butter

* Die Hennen vom Schafott-Berg haben die ranzige Butter mit ihrer Säuernis nicht (von allein) auf ihre trockenen Renftel gestrichen. Garantiert nicht! *

Der Platzhahn mirscht sich bei seiner Pirsch über die malerischen Waldlichtungen sonders gleichen an die Scham der Hirschhennen heran, um sie eine nach der anderen mit dem Geruch von ranziger Butter flachzulegen. So jedenfalls ist es sein Plan gewesen, als er das Paradies der Hirschhennen betritt.
Doch dann erblickt er die wilden Schalotten-Zwiebeln, die die Hennen als Lockmittel für den Hirsch am Platze ausgelegt haben, um diesen mit dem Charme eines anscheinend noch nicht geräuberten Gemüsegartens ihrer Scham zu locken und ihm vorzugaukeln, dass sie wehrlose Hühner seien, die man sich einfach so nehmen und beiseiteschaffen könne, um sie oder auch ihre Eier irgendwann schließlich in die Pfanne zu hauen.

Und so thronen die überreifen Schalotten filmisch geschickt inmitten der Lichtungen auf den Schamhügeln der scheinbar schlafenden Platzhennen und warten samt ihren Eignerinnen darauf, vom Hirsch des Hauses vernascht zu werden.
Als der läufige Platzhahn jedoch mitten in der blauen Supermondnacht plötzlich lautstark über seine eigenen Füße stolpert, stieren ihn mit einem Mal über hundert royal grün-orangene Hühneraugen an. Dann beginnen die dazugehörigen gelben Schnäbel hackend auf seinen Leib einzutrommeln, der mit einem Male in der Schockstarre seines Lebens versinkt, um sich für die Angreiferinnen tot zu stellen.

Als die Schnäbel der Hennen endlich mit ihren Attacken pausieren, ist es fast um den Platzhahn geschehen. Noch immer ist er vom Schock seiner eigenen Narretei erstarrt. Erst als ihm die Hennen moralinsauren Essig unter die Nase halten und ihn dabei mit seiner ranzigen Butter noch eine Einreibung verpassen, bekommt er das große Würgen und Rennen und flüchtet schnurstracks aus ihrer Reichweite.
Verwirrt zieht er mitten im Rückzug von seinem missglückten Streifzug durch die gar nicht lüsternen Gärten seiner Hennen einen zerknüllten Steckbrief aus seinem zerzausten Federkleid. Darauf stand mit ungelenken Lettern hingekritzelt:

Buttersäure-Attentäter gesucht!
Zuletzt in der Nacht des blauen Supermondes gesichtet.
Für sachdienliche Hinweise wird eine Belohnung von Eintausend Litern Buttermilch ausgesetzt.
Meldungen sind an die Hennen vom Schafott-Berg zu richten.
Mit bestem Dank
Ihre Oberhenne vom Platz
Margot

 

© CRSK, LE, 08/2024

 

 

Post Scriptum

Es gab in der Nacht vom 16. zum 17. August einen Buttersäure-Anschlag auf das Leipziger Figurentheater Westflügel und deren unmittelbaren Anwohner.
Und ich persönlich kann nur sagen:

Schämt euch, ihr da draußen, die diese Missetat begangen habt! Ihr schießt euch selbst damit letztendlich ins eigene Bein, auch wenn euch anscheinend die bunte Kulturlandschaft Leipzigs missfällt.

Warum sollte Mensch sonst so etwas kurzsichtiges tun? Oder?

War es die Angst vor der Macht einer freien und auch diversen Kulturlandschaft? War es Neid und Missgunst? Oder einfach die Gedankenlosigkeit vom gelangweilten Partyvolk? Oder gar eine saudumme Mutprobe? Oder etwa die Tat gewalt-extremer (egal welcher Couleur) Kräfte?

Ich, als freudiger Besucher des diesjährigen Sommerfestes verstehe das nicht. Soll das etwa die zukünftige Umgangsform mit nicht genehmen Meinungen und künstlerischer Schaffensfreiheiten sein?

Na dann, Prost Mahlzeit! Es drohen uns finstere Zeiten. Ganz finstere …

Buttersäureanschlag auf den Westflügel

Charlotte kocht

Charlotte kocht

Kreatives Schreiben

Charlotte kocht ist ein Text über die Tatsache, dass die Liebe auch durch den Magen geht. Sinnlichkeit pur. Die Verführung des Geschmackes.

Charlotte kocht

„Die letzten Tage“, ach, was schreibe ich, „gar Wochen ging es sehr bewegt am Set meines Lebens zu“, notierte Lynn in sein Tagebuch.
Er lächelte und sinnierte dabei über all die kleinen und großen Szenen der vergangenen Stunden, Tage und Wochen. Und er freute sich, dass ihn die Ereignisse nicht erschlagen, sondern am Leben gelassen hatten, damit er sich wie ein weißer Rabe in die Lüfte hatte erheben können, um just in diesen Momenten das Paradies der Waldlichtungen in den Augen seiner Freundin im Tiefflug seiner wachen Träume ergründen zu können.
Denn sein innerer Regisseur, dem das Filmset und der gesamte Campus gehörte, hatte sich ihm gnädig gezeigt und – von langer Hand geplant – seine eine Liebe auf den Plan gerufen.

Und nun stand Charlotte in seiner Küche und brachte den Schalotten näher, wie sie royal in der Suppe ihrer beider Dasein schwimmen konnten, ohne mit den Pfifferlingen und Süßkartoffeln zu konkurrieren.
Denn Charlotte war eine Meisterin der Küche der Herzen und war sogar dazu in der Lage läufige Geister in den Gaumenfreuden der Sinne einzufangen. So saß Lynn, der gar nicht mehr lonely gewesen war, schließlich leicht bekleidet inmitten der drückenden Wärme seines Atelier-Wohnzimmers und ließ sich vom aromatischen Duft der Schalotten entflausen.

Währenddessen erleichterte sich gerade ein übellauniges Sommergewitter in den Straßen der Stadt, trommelte mit seinen Regenfingern von draußen gegen die Fensterscheiben des Hauses, in dem Lynn wohnte, perkussionierte ungezählte Achtungs-Wirbel auf den Dächern ganzer Straßenzüge und setzte kurzzeitig Gehwege und Fahrbahnen unter Wasser, so dass der Verkehr zwangsweise pausieren musste, bis die Feuerwehren die Keller zahlreicher Häuser und die Kanalisation im Bett des Straßennetztes wieder in den Takt des Untergrundes gebracht hatte.

Lynn lächelte abermals. Er hatte sich inzwischen neben seiner Charlotte auf der Couch niedergelassen und hielt vorsichtig die halbvolle Schale mit Suppe in den Händen. Während seine Freundin ihren Kopf an seine Schulter gelehnt hatte und mit den Fingern ihrer linken Hand die Kringel-Haare seines rechten Beines kraulte. Um nichts in der Welt hätte er jetzt mit irgendwem anderen da draußen im Regen tauschen wollen, denn filmisch wäre das der pure Nonsens gewesen …

 

© CRSK, LE, 08/2024

System

System

Kreatives Schreiben

System ist ein poethisches Fragment, dass im ersten Teil versucht zu versprachlichen, was mein nicht-binär-sein bedeuten kann. Das Beitragsbild zum Text erzählt dazu auch Bände. Gleichzeitig geht es aber auch auszugsweise um die neuerliche Begegnung zweier einander zugeneigter Herzensmenschen.

System

„Wenn Sie ihn oder sie sehen, so nehmen Sie ihn oder sie als eigenständige Wesenseinheiten oder gar alle beide zugleich als Gegenpolige Einzelkämpfer oder eventuell auch beide als ein und dieselbe Silhouette eines Fixsterns im Gestirn einer einzigen Person wahr.
Dabei können Sie ganze Wagenladungen an Pistazien in die Richtung dieses Menschen schnipsen. Sie würden sowieso nie-nicht alle Facetten in ihm oder gar an ihr treffen und schon gar nicht als Elfmeterschütze oder auch Elfmeterschützin in die Annalen dieser Grata-Gratissima eingehen.
Denn hier herrscht der Hagelsturm im Balance-Akt zum Fliegenschiss an der Mauer. Und die Lauer weiß sehr wohl, wo sie die Dauer findet, mit der sie lasziv kokettieren kann.
Und wenn Sie mal ehrlich sind, so ist das Yin des Yangs und der Gang des Ganges und der Gin des Dschinns viel langweiliger als die Korrektur der Balance einer auf der Spitze stehenden Pyramide.“

„Oder?“

So schrieb Lynn seiner Lisa ins Tagebuch, als er melancholisch an die Waldlichtungen in den Augen der Kundalini dachte, der er neulich die Hand gereicht hatte, um ihren zarten Flaum auf den Wangen mit seinen harten Handinnenflächen zu fühlen und die Weichheit ihrer Fingerbeeren auf dem Rücken seiner Hände zu spüren.
Nichts würde er korrigieren wollen. Mit den Ohren hatte er sie wieder gesehen. Und mit dem Kopfhaar wieder gehört. Und mit den Augen erneut geschmeckt. Und mit dem Munde oh zärtlich ihre Zuneigung im Labsal seiner Seele abermals gefühlt.

Doch nun wartete der purpurrote Siebenpunkt auf ihn, um ihm die Junikäfer von neulich ins Haupthaar zu setzen. Damit diese ihn gen Himmel in die Nacht von dannen trugen.
Und so realisierte er, wie wichtig ihm seine Systematik der lancierten Herzen(sdinge) war. Und wie sehr diese seiner Achtsamkeit bedurfte. Denn zu Zeiten war dieses System durchaus störanfällig und stand mit wankenden Beinen auf buttrigem Untergrund.

 

© CRSK, LE, 07/2024

 

Hellhörig

Hellhörig

Kreatives Schreiben

Hellhörig ist ein Text in dem es um die eigenen Erwartungshaltungen aber auch die um anderer Leute. Und soziale Prägungen.

Hellhörig

Lynn Lonely hockte nackt in seiner Ecke und hatte sich dort zusammengekauert. Er schimpfte mit sich selbst und klang dabei wie ein wetternder Rohrspatz, der sehr, sehr tief durch den Sumpf der Vorwürfe abtauchen musste, um zum goldenen Hort seines versunkenen Positivismus vordringen zu können.
Er wusste nicht so genau, wie ihm geschehen war, sah sich aber justament seiner kleinen Lisa gegenüber, die sich fürchterlich gebar und deshalb auch schon ganz zerzaust aussah. Lynn konnte sie dabei beobachten, wie sie vor dem Spiegel ihrer Mutter stand und gegen ihren eigenen Schatten anfocht, um ihn loszuwerden oder zumindest um ihn zu besiegen. Damit sie sich den Spiegelfechtern anschließen konnte.
Außerdem erahnte Lynn, dass sich seine Lisa justament auch gegen die Erwartungshaltung ihrer Mutter aufbäumte, nur um ihr mit dem Schuhlöffel den inneren Stinkefinger zeigen zu können. Denn sie hasste es, sich beweisen zu müssen und überhaupt etwas zu müssen.
Und Lynn tat es innerlich in der Seele weh, Lisa so leiden zu sehen. Er konnte den Stummel ihres Selbstwertes berühren und wusste, dass er problemlos in eins der Reagenzgläser des Vaters passen würde.
Er sah zu, wie Lisa Wut-Träne um Wut-Träne einsammelte, um sie in eben dieser Reagenzglas-Apparatur des Vaters zu verwahren, bis der Tag kommen würde, dass die Menge zum Ersäufen der Strohballen reichen würde. So jedenfalls war es Lisas Plan gewesen, das wusste Lynn.
Und er wusste auch, warum Lisa diese Strohballen nicht gerngehabt hatte. So wie sie damals alles andere um sich herum auch nicht bedingungslos liebhaben konnte, sondern, wenn dann, nur in dem Maße hatte mögen können, wie sie sich selbst eben auch nur millimetermäßig bis hin zum Nullpunkt gemocht hatte.
Denn die Strohballen waren ein Sinnbild dafür, dass sie aufgrund des Prinzips der bemütternden Sicherheitsdenke und auch aufgrund ihrer eigenen Ängstlichkeit nie auf ihnen herumtollen durfte und sie sich stehts an dieses auch selbst auferlegte Verbot gehalten hatte, während andere sich damals einen feuchten Kehricht darum gekümmert hatten, was die Erwachsenen dazu sagen und was für eine Strafe sie dafür bekommen würden.

Lynn fühlte sich ganz mürbe. Er war es leid, dass er sich dann und wann für die aufgestaute Wut seiner Lisa rechtfertigen musste. „Dann und wann ist gut“, lachte er etwas verzweifelt auf. „Das passiert in letzter Zeit wohl doch eher öfters als selten“, überlegte er und riss seinen Mund weit auf, um einen mehrfachen lauten Gähn-Brüll-Seufzer loszulassen. Die Nachbarn waren ihm dabei herzlichst egal. Denn sie scherten sich schließlich auch nicht darum, wenn er mitten in der Nacht etwas von ihren regelmäßigen Schlafzimmerinfernos mitbekam. Die Wände hier waren sehr hellhörig.

„Apropos Inferno“, dachte Lynn und schielte verstohlen zu seinem kaputten Dildo hinüber. Nicht ganz ein Jahr hatte er gehalten und schon war seine Silikonhülle eingerissen. „Wie ätzend“, überlegte Lynn weiter. „Jetzt tut mir das Poloch weh“, fuhr er fort.
„Das Innenleben der Mechanik ist zwar durchaus interessant zu betrachten, bringt mich aber momentan kein Stück weiter im Geschehen“, überlegte Lynn Lonely.
„Auch wenn ich zu gern genau jetzt damit arbeiten würde …“

Plötzlich ertönte die Klingel an Lynns Wohnungstür und riss ihn aus seinen Gedanken. Als er schließlich durch den Türspion blickte, stand seine Welt auf einmal Kopf. Denn er wurde sich messerscharf darüber im Klaren, dass seine Schnalle bald auf der anderen Seite der Wohnungstür stehen und an seinem gefühlten Chaos teilhaben würde.
Und erneut schrillte es, dieses Mal allerdings tatsächlich in Lyns Kopf. Ihm wurde es schlagartig bewusst, dass er wiedermal einer gewissen Erwartungshaltung sich selbst gegenüber aufgesessen war und dagegen versuchte er anzugehen …

© CRSK, LE, 06/2024