Kreatives Schreiben

„Ich bremse auch für Wessis“ ist ein politischer Text. Ein Versuch einer sa-tierischen Stellungname eines Ostdeutschen. Eine Stellungname über die polarisierende Berichterstattung zur Bundestagswahl 2025. Gemeint sind hier gewisse Info-Grafiken, die durchaus einen falschen Eindruck vermitteln können.

Ich bremse auch für Wessis

von | März 5, 2025 | Reizwortgeschichte, Nicht vertont, Politisches

ins Hochdeutsche übertragen

 

„Hey Horst, sag mal, hab ich’s nun bei deiner Alten verschissen? Weil ich doch Gestern erst mit der Kleinen vom Maxn seinem Bruder schwofen war anstatt mit ihr?“
„Ach, das weiß ich, ehrlich gesagt, nicht so genau. Auch wir haben grad dicke Luft zu hause. Das kann ich dir aber sagen. Und meine Fersen tun mir sowas von weh du, weil die doofe Kuh mir mal wieder nix gönnen kann und mir gestern erst vor Wut mit der Sackkarre hinten rein gerauscht ist. Och nee du, dieser Schmerz hämmert mir noch mein Hirn aus dem Kopf.“
„Hast du denn wenigstens die Frau Doktor Helga angerufen, damit sie dir etwas dagegen spritzen kann und weil du dann doch immer diese Stress-Quaddeln von den Schmerzattacken bekommst?“
„Nein, soweit war ich mit dem Kopf noch nicht. Da war nämlich noch zu viel vom Tanzabend im Blut und schwummerich vom Vorabend war mir auch noch.“
„Ohje.“

„Ja. Aber sag mal, hast du mir das Tannenzäpfle-Bier vom Globus mitgebracht?“ Ich brauche nämlich dringend noch nen Drehwurm für morgen, weil dann Zahltag ist. Die Stütze soll morgen überwiesen werden, und auf meinem Konto schauts momentan aus wie in einer nach nem Sandsturm leergefegten Wüste.“
„Nein habe ich nicht. Es ist doch aber auch erst 11.30 Uhr. Die strahlende Sonne zeigt sich seit Wochen zum ersten Mal wieder hoch oben am wolkenlosen Himmel. Und die Glückszahlen sind noch nicht durch den Nachrichten-Ticker gerauscht. Und es gibt nachher noch Froschschenkel aus dem Eisfach. Die sind mir erst kürzlich als Angebot in den Hackenporsche hinein gehüpft und haben mich natürlich vorher nicht gefragt.“
„Igitt, nee! Das kannst du alleine essen. Ich bin doch kein Franzmann, auch wenn ich noch allzugut weiß, wie man es nem anderen auf Französisch macht.“

„Oh, du alter Lüstling!“

„Ich? Ähm nicht wirklich. Aber als wir damals als Jungspundies im Segen von Honecker mit der ganzen Abschlussklasse von der Berufsschule auf einem Ausflug in Schnarrtanne gewesen sind, da haben wir die Klassen-Unke als Aufpasser vor die Tür unserer Hütte gesetzt und haben dann miteinander Flaschendrehen für Erwachsene gespielt.
Also ich meine, wir waren ja alle vom Alter her schon Achtzehn.
Jedenfalls als ich dann endlich drangekommen bin, haben sie mich nackig gemacht und zur Belustigung der Weiber in den Lostopf gesteckt. Und dann haben sie mich in meinem Adamskostüm mit ihren grabschenden Fingern überall betatscht und begrabbelt.“
„Und?“
„Na nichts und! Ich habe nen Ständer bekommen und eine von den Mädels hat mir dann einen runtergeholt.“
„Uh …“
„Jahaaa, davon träume ich heute noch, wenn ich keinen mehr hochbekomme. Meine Alte lässt mich ja immer nur sonntags vor der Sportschau über sich drüber rutschen“
„Deine Alte oder meine Alter oder wie nun?“
„Ist das denn wichtig auf unsere alten Tage?“
„Hmmm …“

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„Hier, aber sag mal, hast du schon gehört, dass der Helga ihr Mann erst neulich wieder einen Hoax losgetreten hat?“
„Äh, was bitteschön?“
„Einen Hoax.“
„Was ist denn das? Das habe ich ja noch nie gehört.“
„Na der hat doch dem alten Bürgermeister per digitaler Postwurfsendung mittels einer Virulenzia für den Computer verklickert, dass dem die Nase abfallen würde oder gar schlimmeres, wenn er noch einmal kandidieren würde, ohne sich vorher den Segen von der Helga ihrem Mann und seinen Leuten von der Werkstatt schräg gegenüber vom Becker Menzl abzuholen.“
„Ach, und das stimmt tatsächlich?“
„Nein, natürlich nicht! Es war ja ein Hoax.“

 „Aha. …
Aber ist denn der Helga ihr Mann nicht einer der Guten? Ein Guter unter den Besten? Und der will doch eigentlich nur Gutes für unsere Dorfgemeinschaft oder? So wie der sich hier für das Leben in der Gemeinschaft unserer freien Bürger engagiert?
Jaaaa, seine Jungs sind manches Mal ein bisschen forsch unterwegs, aber die würden unserer einer doch kein Haar krümmen, denn wir gehören doch sozusagen durch unsere Alte zu deren Familie, oder? Und die schreibt doch der Mann von der Helga groß, größer, am größesten, so konservativ wie der ist. Oder?“

 „Findest du?“

„Nicht? …
Naja, jedenfalls liegt er mir ständig in den Ohren, dass ich meine, äh, unsere, Alte wieder mehr zum Herd hinzitieren soll, weil er eben meint, mir würde das nicht stehen, also ich meine die Arbeit in der Küche. Ich sollte, seiner Meinung nach, doch lieber zu seinen Kumpels in die Werkstatt kommen, um mit ihnen an den Maschinen zu schrauben und gemeinsam dort abzuhängen.“

„Äh, aber das ist doch eigentlich gar nicht dein Ding, in mit Motorenöl verschmierten Klamotten herumzuhängen, die du nie wieder sauber bekommst und über Mechanik und nackte Weiber und Sex und Pornos und über Probleme zu Hause oder über Politik zu philosophieren. Oder?
Du komponierst doch lieber in deiner Küche, so dass du den Teig vom Kuchen so harmonisch wie möglich kreierst, damit alle glücklich und zufrieden und satt davon werden.
Oder sollte ich mich in dir täuschen?
Am Ende wirst du dich noch – so wie die Mechaniker-Jungs, wenn ihr Boss sie mit Worten und Stoff dazu ermutigt – mit ner sprichwörtlichen Kettensäge aufmachen und die Leute im Dorf in ihrer freien Meinungsäußerung bedrohen wollen?
Das kann ich mir, ehrlich gesagt, bei dir gar nicht vorstellen. Und ich glaube, ich kenne dich schon lange genug, um mir darüber eine Meinung bilden zu können. Also einige Jahre jedenfalls, will ich meinen.“

„Naja, ach, ich weiß auch nicht so recht.
Ich lasse ihn jedenfalls seinen Sermon reden und mache eben mein Ding weiter. Solange es jedenfalls geht und ich nicht irgendwann Gefahr laufe, auf seiner Abschussliste zu landen. Und ich glaube nicht, dass es besonders ratsam wäre, da drauf zu stehen.
So ein lieber Bester ist der nämlich gar nicht, wie er immer tut. Ich glaube, das ist alles nur Fassade. Das sage ich dir jetzt mal im Vertrauen unter uns. Der kann nämlich auch noch ganz anders, wie ich es neulich über Buschfunk der Gerüchteküche gehört habe. Da gebe ich dir mein Ehrenwort drauf und noch nen Brief und nen Siegel mit dazu.“

„Und was sollen wir jetzt deiner Meinung nach machen? Den werden wir hier im Ort doch nie wieder los. Der hat sich hier doch längst eingenistet wie ein wucherndes Geschwür in unserer schönen Dorfgemeinschaft und droht unter der Hand den Leuten, die sich nicht seinem Willen und seiner Meinung fügen wollen. Und es ist auch längst kein Geheimnis mehr, wie der drauf ist, wenn er blau ist und braune Scheiße labert.“

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 „Übrigens haben die neulich einen Toten aus der Torfgrube im Wald geborgen. Der war völlig unbekleidet und hatte auch gar keine Papiere bei sich, sagen sie. Und irgendein Witzbold hat dem dann noch nen Spruch mit roter Farbe auf den Körper gesprüht.“
„So? Was denn für einen?“
„Na, der Buschfunkt meint, das da drauf zu lesen stand: ‚Ich bremse auch für Wessis‘“
„Oh“
„Und dann habe ich gehört, dass sie der Helga ihren Mann zum Verhör abgeführt haben und ihm im Ermittlungseifer damit gedroht haben, dass er mit Karacho in den Bau einfahren wird, wenn er nicht gesteht und es dennoch zur ordentlichen Verhandlung vor Gericht kommt.“

„Aber wer soll dem denn das Handwerk legen? Die ortsansässige Justiz ist doch auch nur befangen, wenn du es dir recht überlegst. Befangen von der Jahre- und Jahrzehntelangen Unterwanderung durch die Getreuen vom Guten, dem Mann von der Helga.
Oder etwa nicht?
Wenn wir mal ganz ehrlich miteinander sind und realistisch an die Sache herangehen, hat der doch längst den Dolch hinterm Rücken gezückt und will mit seinen Gefolgsleuten allerseits an die Macht.“
„So wie Ehlendiels Erben? Oder wie hießen die denn gleich noch mal, in diesem einem Kinofilm von damals?“
„Nein! Eher wie ehlentitäre Bürger des Landes.“
„Ach, keine Ahnung von nichts ich habe. Ist mir aber letzten Endes auch egal, solange sie mich nicht weiter belästigen in unserem kleinen Paradies und mich und dich und unsere Alte in Ruhe lassen, ist doch alles in Ordnung? Oder was meinst du dazu?“
„Naja, aber wenn die dann am Ende auch nicht mehr für uns bremsen? Für uns armen, alten Ossis aus der wohlmeinenden Nachbarschaft? Dann können wir nur noch Gute Nacht sagen und uns zur letzten Ruhe betten und einpacken. Dann schmelzen die letzten Barrieren zwischen Himmel und Höllenschlund und nichts bleibt mehr so, wie es mal war.“

„Ohje. … Komm, lass uns lieber über was anderes reden. Das macht mich sonst noch ganz depressiv. Und ich habe auch schon wieder Druck.
Lass uns im Bett unter der Decke kuscheln und hol deine Alte mit dazu! Dann kann ich wieder Glückshormone sammeln.“
„Genau! Scheiß auf die Welt da draußen, wir haben unseren eigenen Mikrokosmos hier drinnen.“

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„Ach, weißt du noch?“
„Nö, was denn?“
„Na als du der Helga ihrem Mann die Fresse poliert hast, und er am Ende im Gesicht so blau ausgesehen hat, wie seine Kumpane eine braune Gesinnung haben, wenn die mal wieder das Dorf mit ihren Parolen und Pöbeleien drangsaliert haben.“
„Ach ja, das waren noch Zeiten. Nicht schön, hat aber Spaß gemacht, damals, dieser Socke endlich mal ordentlich die Meinung zu geigen. Auch wenns uns am Ende gar nix gebracht hat außer einer gebrochenen Nase und gehörige Prellungen am ganzen Körper.“
„Wieso?“
„Na, die Domspatzen pfeifen es doch längst von den Wolkendächern.“
„Öhm, was denn?“
„Das wir die Bösen sind. Wir die dummen Ossis, die von der Stütze leben und zu faul sind zum Arbeiten.“
„Wieso das denn?“
„Na, weil wir sie in den Augen der Wessis damals erst salonfähig gemacht und gewählt haben. Wir, die wir ihre teilweise braune Gesinnung damals nicht wahrhaben wollten, weil deren Fassade mit modern blauer Farbe angepinselt war und sich mit einem netten Lächeln aus der Nachbarschaft auf den Plakaten präsentierte.“
„Nee, du vielleicht, aber ich nicht. Ich war immer gegen diese Brut und wollte rein gar nix mit deren Machenschaften zu tun haben. Aber jetzt ist der Drops eh gelutscht.“
„Ja, jetzt ist er gelutscht“
„Jetzt haben sie wirklich, aber auch wirklich alle Straßen, alle Häuser, alle Spielplätze und Kindergärten und Schulen, alle Gemeinden, Dörfer, Orte und Städte, ja sogar alle Landstriche und Wälder und Seen und so mit ihrer blauen Farbe übertüncht und sind auch noch stolz drauf. Jetzt brauchen die Nachrichten-Heinis die Statistiken nicht mehr manipulieren. Denn es gibt nix mehr zu polarisieren. Iss eh nur noch alles ein blauer Einheitsbrei.“
„Ach, du meinst, wir waren damals gar keine homogenen Ostdeutschen?“
„Nein.“
„Aber man wollte, dass es so ausschaut?“
„Ja.“
„Und uns zum Sündenbock abstempeln und irgendwann auch zum Feindbild?“
„Ja.“
„Und warum interessiert uns das jetzt noch?“
„Weil die dasselbe nun auch noch hier im himmlischen Paradies abziehen wollen. Und dagegen müssen wir jetzt was tun!“
„Aha.“

 

© CRSK, LE, 03/2025