Bornholm ist noch weit fort

Bornholm ist noch weit fort

Kreatives Schreiben

Bornholm ist ein Text über die Ängste des kindgebliebenen Lynn. Er spielt in seiner erwachsenen Gegenwart und erzählt von seiner Seelenlandschaft.

Bornholm ist noch weit fort

„Bornholm ist noch weit fort“, dachte sich der Origami-Kranich, als er zu Füßen des kleinen Jungen landete und ihn dabei mit der Farbe seines Gefieders bekleckerte. Denn er hatte die Angst und die Traurigkeit sowie die Scham des Jungen gespürt und wollte ihn teilhaben lassen an der Sonnenseite seines Vogeldaseins.

Doch der kleine Junge bemerkte dies gar nicht. Er stand inmitten des Stroms der grauen Eminenz und hielt der Marschrichtung der Masse entgegen Ausschau nach seiner Mutter, nach seinem Vater oder zumindest irgendjemandem der ihm vertraut ausschaute.

Aber da war nur die Angst in ihm, vergessen worden zu sein und das machte ihn traurig.
Ängstlich ob der gefühlten Gewissheit allein und zurück gelassen worden zu sein.
Ängstlich ob der eventuellen Tatsache zu spät zu kommen und dann auf Godot warten zu müssen.
Traurig, weil niemand da war, der ihn an die Hand nahm und tröstete.
Und schambehaftet, weil er sich vor Angst sprich-wörtlich in die Hosen machte, ohne dabei zu bedenken, dass das nun jeder sehen und vorallem riechen konnte.

So betrachtete ihn der Origami-Kranich, blieb eine Weile bei ihm, erhob sich schließlich aber wieder – seiner Natur folgend – in die Lüfte, die ihn am Ende nach Bornholm mit sich von dannen trugen …

© CRSK, LE, 04/2025

 

Post Scriptum:

Über die Angst eines erwachsenen Lynn. Beziehungsweise über eine seiner Ängste.

Rabbit-Hole

Rabbit-Hole

Kreatives Schreiben

Rabbit-Hole ist ein Text, in dem Lynn der Grenzwanderer einem weißen Hasen / Kaninchen begegnet. Ob es Horror und niedlich ist, ….?

Rabbit-Hole

Lynn hatte nicht gerade das Glück aus dem Lostopf gezogen, als er mitten in der Nacht die junge Frau Färse erblickte, wie sie wie die Kuh vorm versiegelten und verschlüsselten Tor stand und das Rätsel des Quaddel-Meisters Schluck-Schlumm nicht lösen konnte.
Und schließlich saß sie, die Frau Färse, auch noch dem mitternächtlich gefälschten Hoax auf, dass sich das Rabbit-Hole zur Geisterstunde öffnen würde, um den falschen, weiß befellten Geister-Hasen in die Traumwelt der Menschen zu entlassen, damit er die Unken in den Taschen der Grenzwanderer erschrecken konnte.
Da gruselte sich Lynn schließlich sehr und zog einen rostigen Dolch aus seiner Manteltasche, um den Torf zu seinen Füßen zu stechen. Denn er wollte die Feuer zu seiner Linken und Rechten des Weges schüren und mit frischem Torf neu anheizen, um das Silber des Mondes darin schmelzen zu können.

Dann brach das blaue Chaos der alten Meister über ihn herein und malten sein situatives Bild völlig neu. So dass Lynn plötzlich zu seiner Überraschung ein geköpftes Federvieh verkehrtherum in den Händen hielt, um die Todessehnsucht des Tieres zu untermalen.
Wobei es damit nicht weither gewesen sein konnte, glaubte er. Denn das Federvieh überraschte ihn immer wieder mit seiner Agilität in den letzten gefühlten Lebensaugenblicken. Und als es endlich seinen letzten Lebensatem ausgezuckt hatte, fühlte Lynn die Straffung seiner vorher laschen Sinne.
Hoffentlich würde er nicht ins Rabbit-Hole fallen müssen, um das Sondervermögen seiner Ahnen herauszufischen. Denn ihm war darüber jetzt schon klar, dass dies nicht der Norm in den Köpfen derer Menschen entsprechen konnte, die für ihn bisher gut gesorgt hatten.

 

© CRSK, LE, 03/2025

Ich bremse auch für Wessis

Ich bremse auch für Wessis

Kreatives Schreiben

„Ich bremse auch für Wessis“ ist ein politischer Text. Ein Versuch einer sa-tierischen Stellungname eines Ostdeutschen. Eine Stellungname über die polarisierende Berichterstattung zur Bundestagswahl 2025. Gemeint sind hier gewisse Info-Grafiken, die durchaus einen falschen Eindruck vermitteln können.

Ich bremse auch für Wessis

ins Hochdeutsche übertragen

 

„Hey Horst, sag mal, hab ich’s nun bei deiner Alten verschissen? Weil ich doch Gestern erst mit der Kleinen vom Maxn seinem Bruder schwofen war anstatt mit ihr?“
„Ach, das weiß ich, ehrlich gesagt, nicht so genau. Auch wir haben grad dicke Luft zu hause. Das kann ich dir aber sagen. Und meine Fersen tun mir sowas von weh du, weil die doofe Kuh mir mal wieder nix gönnen kann und mir gestern erst vor Wut mit der Sackkarre hinten rein gerauscht ist. Och nee du, dieser Schmerz hämmert mir noch mein Hirn aus dem Kopf.“
„Hast du denn wenigstens die Frau Doktor Helga angerufen, damit sie dir etwas dagegen spritzen kann und weil du dann doch immer diese Stress-Quaddeln von den Schmerzattacken bekommst?“
„Nein, soweit war ich mit dem Kopf noch nicht. Da war nämlich noch zu viel vom Tanzabend im Blut und schwummerich vom Vorabend war mir auch noch.“
„Ohje.“

„Ja. Aber sag mal, hast du mir das Tannenzäpfle-Bier vom Globus mitgebracht?“ Ich brauche nämlich dringend noch nen Drehwurm für morgen, weil dann Zahltag ist. Die Stütze soll morgen überwiesen werden, und auf meinem Konto schauts momentan aus wie in einer nach nem Sandsturm leergefegten Wüste.“
„Nein habe ich nicht. Es ist doch aber auch erst 11.30 Uhr. Die strahlende Sonne zeigt sich seit Wochen zum ersten Mal wieder hoch oben am wolkenlosen Himmel. Und die Glückszahlen sind noch nicht durch den Nachrichten-Ticker gerauscht. Und es gibt nachher noch Froschschenkel aus dem Eisfach. Die sind mir erst kürzlich als Angebot in den Hackenporsche hinein gehüpft und haben mich natürlich vorher nicht gefragt.“
„Igitt, nee! Das kannst du alleine essen. Ich bin doch kein Franzmann, auch wenn ich noch allzugut weiß, wie man es nem anderen auf Französisch macht.“

„Oh, du alter Lüstling!“

„Ich? Ähm nicht wirklich. Aber als wir damals als Jungspundies im Segen von Honecker mit der ganzen Abschlussklasse von der Berufsschule auf einem Ausflug in Schnarrtanne gewesen sind, da haben wir die Klassen-Unke als Aufpasser vor die Tür unserer Hütte gesetzt und haben dann miteinander Flaschendrehen für Erwachsene gespielt.
Also ich meine, wir waren ja alle vom Alter her schon Achtzehn.
Jedenfalls als ich dann endlich drangekommen bin, haben sie mich nackig gemacht und zur Belustigung der Weiber in den Lostopf gesteckt. Und dann haben sie mich in meinem Adamskostüm mit ihren grabschenden Fingern überall betatscht und begrabbelt.“
„Und?“
„Na nichts und! Ich habe nen Ständer bekommen und eine von den Mädels hat mir dann einen runtergeholt.“
„Uh …“
„Jahaaa, davon träume ich heute noch, wenn ich keinen mehr hochbekomme. Meine Alte lässt mich ja immer nur sonntags vor der Sportschau über sich drüber rutschen“
„Deine Alte oder meine Alter oder wie nun?“
„Ist das denn wichtig auf unsere alten Tage?“
„Hmmm …“

—————–

„Hier, aber sag mal, hast du schon gehört, dass der Helga ihr Mann erst neulich wieder einen Hoax losgetreten hat?“
„Äh, was bitteschön?“
„Einen Hoax.“
„Was ist denn das? Das habe ich ja noch nie gehört.“
„Na der hat doch dem alten Bürgermeister per digitaler Postwurfsendung mittels einer Virulenzia für den Computer verklickert, dass dem die Nase abfallen würde oder gar schlimmeres, wenn er noch einmal kandidieren würde, ohne sich vorher den Segen von der Helga ihrem Mann und seinen Leuten von der Werkstatt schräg gegenüber vom Becker Menzl abzuholen.“
„Ach, und das stimmt tatsächlich?“
„Nein, natürlich nicht! Es war ja ein Hoax.“

 „Aha. …
Aber ist denn der Helga ihr Mann nicht einer der Guten? Ein Guter unter den Besten? Und der will doch eigentlich nur Gutes für unsere Dorfgemeinschaft oder? So wie der sich hier für das Leben in der Gemeinschaft unserer freien Bürger engagiert?
Jaaaa, seine Jungs sind manches Mal ein bisschen forsch unterwegs, aber die würden unserer einer doch kein Haar krümmen, denn wir gehören doch sozusagen durch unsere Alte zu deren Familie, oder? Und die schreibt doch der Mann von der Helga groß, größer, am größesten, so konservativ wie der ist. Oder?“

 „Findest du?“

„Nicht? …
Naja, jedenfalls liegt er mir ständig in den Ohren, dass ich meine, äh, unsere, Alte wieder mehr zum Herd hinzitieren soll, weil er eben meint, mir würde das nicht stehen, also ich meine die Arbeit in der Küche. Ich sollte, seiner Meinung nach, doch lieber zu seinen Kumpels in die Werkstatt kommen, um mit ihnen an den Maschinen zu schrauben und gemeinsam dort abzuhängen.“

„Äh, aber das ist doch eigentlich gar nicht dein Ding, in mit Motorenöl verschmierten Klamotten herumzuhängen, die du nie wieder sauber bekommst und über Mechanik und nackte Weiber und Sex und Pornos und über Probleme zu Hause oder über Politik zu philosophieren. Oder?
Du komponierst doch lieber in deiner Küche, so dass du den Teig vom Kuchen so harmonisch wie möglich kreierst, damit alle glücklich und zufrieden und satt davon werden.
Oder sollte ich mich in dir täuschen?
Am Ende wirst du dich noch – so wie die Mechaniker-Jungs, wenn ihr Boss sie mit Worten und Stoff dazu ermutigt – mit ner sprichwörtlichen Kettensäge aufmachen und die Leute im Dorf in ihrer freien Meinungsäußerung bedrohen wollen?
Das kann ich mir, ehrlich gesagt, bei dir gar nicht vorstellen. Und ich glaube, ich kenne dich schon lange genug, um mir darüber eine Meinung bilden zu können. Also einige Jahre jedenfalls, will ich meinen.“

„Naja, ach, ich weiß auch nicht so recht.
Ich lasse ihn jedenfalls seinen Sermon reden und mache eben mein Ding weiter. Solange es jedenfalls geht und ich nicht irgendwann Gefahr laufe, auf seiner Abschussliste zu landen. Und ich glaube nicht, dass es besonders ratsam wäre, da drauf zu stehen.
So ein lieber Bester ist der nämlich gar nicht, wie er immer tut. Ich glaube, das ist alles nur Fassade. Das sage ich dir jetzt mal im Vertrauen unter uns. Der kann nämlich auch noch ganz anders, wie ich es neulich über Buschfunk der Gerüchteküche gehört habe. Da gebe ich dir mein Ehrenwort drauf und noch nen Brief und nen Siegel mit dazu.“

„Und was sollen wir jetzt deiner Meinung nach machen? Den werden wir hier im Ort doch nie wieder los. Der hat sich hier doch längst eingenistet wie ein wucherndes Geschwür in unserer schönen Dorfgemeinschaft und droht unter der Hand den Leuten, die sich nicht seinem Willen und seiner Meinung fügen wollen. Und es ist auch längst kein Geheimnis mehr, wie der drauf ist, wenn er blau ist und braune Scheiße labert.“

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 „Übrigens haben die neulich einen Toten aus der Torfgrube im Wald geborgen. Der war völlig unbekleidet und hatte auch gar keine Papiere bei sich, sagen sie. Und irgendein Witzbold hat dem dann noch nen Spruch mit roter Farbe auf den Körper gesprüht.“
„So? Was denn für einen?“
„Na, der Buschfunkt meint, das da drauf zu lesen stand: ‚Ich bremse auch für Wessis‘“
„Oh“
„Und dann habe ich gehört, dass sie der Helga ihren Mann zum Verhör abgeführt haben und ihm im Ermittlungseifer damit gedroht haben, dass er mit Karacho in den Bau einfahren wird, wenn er nicht gesteht und es dennoch zur ordentlichen Verhandlung vor Gericht kommt.“

„Aber wer soll dem denn das Handwerk legen? Die ortsansässige Justiz ist doch auch nur befangen, wenn du es dir recht überlegst. Befangen von der Jahre- und Jahrzehntelangen Unterwanderung durch die Getreuen vom Guten, dem Mann von der Helga.
Oder etwa nicht?
Wenn wir mal ganz ehrlich miteinander sind und realistisch an die Sache herangehen, hat der doch längst den Dolch hinterm Rücken gezückt und will mit seinen Gefolgsleuten allerseits an die Macht.“
„So wie Ehlendiels Erben? Oder wie hießen die denn gleich noch mal, in diesem einem Kinofilm von damals?“
„Nein! Eher wie ehlentitäre Bürger des Landes.“
„Ach, keine Ahnung von nichts ich habe. Ist mir aber letzten Endes auch egal, solange sie mich nicht weiter belästigen in unserem kleinen Paradies und mich und dich und unsere Alte in Ruhe lassen, ist doch alles in Ordnung? Oder was meinst du dazu?“
„Naja, aber wenn die dann am Ende auch nicht mehr für uns bremsen? Für uns armen, alten Ossis aus der wohlmeinenden Nachbarschaft? Dann können wir nur noch Gute Nacht sagen und uns zur letzten Ruhe betten und einpacken. Dann schmelzen die letzten Barrieren zwischen Himmel und Höllenschlund und nichts bleibt mehr so, wie es mal war.“

„Ohje. … Komm, lass uns lieber über was anderes reden. Das macht mich sonst noch ganz depressiv. Und ich habe auch schon wieder Druck.
Lass uns im Bett unter der Decke kuscheln und hol deine Alte mit dazu! Dann kann ich wieder Glückshormone sammeln.“
„Genau! Scheiß auf die Welt da draußen, wir haben unseren eigenen Mikrokosmos hier drinnen.“

————

„Ach, weißt du noch?“
„Nö, was denn?“
„Na als du der Helga ihrem Mann die Fresse poliert hast, und er am Ende im Gesicht so blau ausgesehen hat, wie seine Kumpane eine braune Gesinnung haben, wenn die mal wieder das Dorf mit ihren Parolen und Pöbeleien drangsaliert haben.“
„Ach ja, das waren noch Zeiten. Nicht schön, hat aber Spaß gemacht, damals, dieser Socke endlich mal ordentlich die Meinung zu geigen. Auch wenns uns am Ende gar nix gebracht hat außer einer gebrochenen Nase und gehörige Prellungen am ganzen Körper.“
„Wieso?“
„Na, die Domspatzen pfeifen es doch längst von den Wolkendächern.“
„Öhm, was denn?“
„Das wir die Bösen sind. Wir die dummen Ossis, die von der Stütze leben und zu faul sind zum Arbeiten.“
„Wieso das denn?“
„Na, weil wir sie in den Augen der Wessis damals erst salonfähig gemacht und gewählt haben. Wir, die wir ihre teilweise braune Gesinnung damals nicht wahrhaben wollten, weil deren Fassade mit modern blauer Farbe angepinselt war und sich mit einem netten Lächeln aus der Nachbarschaft auf den Plakaten präsentierte.“
„Nee, du vielleicht, aber ich nicht. Ich war immer gegen diese Brut und wollte rein gar nix mit deren Machenschaften zu tun haben. Aber jetzt ist der Drops eh gelutscht.“
„Ja, jetzt ist er gelutscht“
„Jetzt haben sie wirklich, aber auch wirklich alle Straßen, alle Häuser, alle Spielplätze und Kindergärten und Schulen, alle Gemeinden, Dörfer, Orte und Städte, ja sogar alle Landstriche und Wälder und Seen und so mit ihrer blauen Farbe übertüncht und sind auch noch stolz drauf. Jetzt brauchen die Nachrichten-Heinis die Statistiken nicht mehr manipulieren. Denn es gibt nix mehr zu polarisieren. Iss eh nur noch alles ein blauer Einheitsbrei.“
„Ach, du meinst, wir waren damals gar keine homogenen Ostdeutschen?“
„Nein.“
„Aber man wollte, dass es so ausschaut?“
„Ja.“
„Und uns zum Sündenbock abstempeln und irgendwann auch zum Feindbild?“
„Ja.“
„Und warum interessiert uns das jetzt noch?“
„Weil die dasselbe nun auch noch hier im himmlischen Paradies abziehen wollen. Und dagegen müssen wir jetzt was tun!“
„Aha.“

 

© CRSK, LE, 03/2025

Hunger

Hunger

Kreatives Schreiben

Hunger ist die Vertextlichung eines Traumes, den ich heute morgen gehabt habe. Er erzählt von einem Gefühl meiner Kindertage.

Hunger

Lynn war wieder sieben Jahre alt und fühlte sich vor freudiger Erregung darüber, was er alles zu berichten hatte, fast so, als ob sich die Worte in ihm so wie früher in seiner Lisa bis zum Bersten angestaut und aufgeplustert hätten und nur darauf warteten seiner Lisa und dem Ruprecht, auf dessen Schoß er beziehungsweise sie wieder gesessen war, die Füße vollzukotzen.
Seiner Lisa war schon speiübel vom Hoppe-hoppe-Reiter-Spiel, dass der Ruprecht früher immer gern mit ihr gespielt hatte, wenn er in der Laune dazu gewesen war.

Und so kam es, wie es kommen musste.

Lynn redete und redete und erbrach dabei seine Worte im Überschwall der erregten Gefühle und bemerkte eben nicht, dass er nur nach der Aufmerksamkeit seiner (geistig) abwesenden Mutter gierte.
Ihm war schon gänzlich blümerant zumute, und sein Wortschwall wurde nun zunehmend von einem immer penetranter werdenden Schluckauf unterbrochen, so dass Lisa so bekotzt, wie sie sich fühlte, dazu nur meinte, dass die Mama an sie beide denken, aber im selben Augenblick den Ruprecht in Gedanken küssen würde.

Als dann am Ende das Hoppe-Hoppe-Reiter-Spiel auf Ruprechts Schoß in Lynns Traum immer wilder und wilder zu werden drohte, riss sein Redeschwall plötzlich ab und zerbrach die Wort- und Assoziationsketten seiner Gedanken in sinnlose Fett- und Magerworte oder auch in Fressmaschinen und mehr oder weniger nahrhafte Füllungen der Wortfetzen.

Schließlich weinte Lisa dem Ruprecht die Ohren voll, weil er ihr zu ruppig gewesen war und ihr dabei das Sonntagskleid zerknittert und beschmutzt hatte, dass sie zu diversen Anlässen immer anziehen musste, obwohl sie es damals gehasst hatte. Dabei wusste sie doch, dass Ruprecht nur ihr bestes wollte. So wie früher, wenn sie sich nach den Armen und den Ohren ihrer Mutter gesehnt hatte und dies nicht möglich gewesen war, weil sie eben anderweitig zu tun gehabt hatte und nicht anwesend gewesen war oder aber erschöpft im Bett gelegen und sich müde vom Leben geschlafen hatte.

Lynn rülpste. Luft hatte sich in seine Magengrube verirrt und weckte ihn nun mit dem Drang nach draußen auf. Es war sechs Uhr am Morgen. Er fühlte sich einsam, und die Nacht hatte ihn hungrig gemacht.

 

© CRSK, LE, 02/2025

Vor dem Aufwachen

Vor dem Aufwachen

Kreatives Schreiben

Vor dem Aufwachen ist ein Text über dem Gabmat. Ein Wesen, was Gaben frisst und und Menschen transformiert. Es ist Lynns Traum.

Vor dem Aufwachen

„Der Gabmat hat noch immer Hunger“, murmelte Lisa ihrem Lynn zu und runzelte die Stirn. „Und wenn du nicht aufpasst, frisst er dir am Ende noch die Haare vom Kopf“, fuhr sie leise fort. Er scheint mir, wie das Feuer in deinem Herzen zu sein, dass das Strandgut deines Lebens vertilgen will, um es schließlich der Asche zu übergeben.“
Lynn sagte nichts und versuchte mit seinen Blicken den Nebel zu durchdringen, der seit Tagen schon mal mehr und mal weniger die Stadt einwattiert hatte, so dass ihr Leben nur noch gedämpft zu ihm durchdrang.
„Und wenns doof läuft für dich“, sprach Lisa weiter, so als ob sie die Watte da draußen gar nicht wahrnahm, „dann macht dich der Gabmat naggisch. Naggisch an Leib und Seele. Naggisch im Herzen. Dann bist du irgendwann nur noch als suboptimaler Obstrahent in Obstanz unterwegs und gar nicht mehr als kontinentales Plus.“
Lynn konterte nicht, sondern schwieg weiter. Er schob dem Gabmat noch immer eine Gabe nach der anderen in den Schlund. Ohne Punkt und Komma.
Und Lisa prustete: „Ohne Puschi-Muh und Zuckerguss. Sonst ists vermutlich aus mit der Zuckermaus“
„Ja, ja, ich weiß“, zuckte Lynn mit seinen Schultern. „Dann ist es ebenso. Na und!? Es ist doch sowieso nur ein Traum, dessen Inhalte im nächsten Moment in Schall und Rauch aufgehen werden, oder?“

 

© CRSK, LE, 01/2025

Geburtstag

Geburtstag

Kreatives Schreiben

Der Text „Geburtstag“ berichtet von einem Traum, den Lynn schon als Kind gehabt hat. Einmal mit anderen Kindern, Freunden, Geburtstag feiern.

Geburtstag

Es war fünf Uhr in der Früh. Lynn schlief den Schlaf der Gerechten, und auch die Sonne war noch nicht aufgegangen. Lynn träumte gerade, dass er wieder acht Jahre alt sei und nun mit den anderen Kindern aus der Nachbarschaft durch das Ehebett seiner Eltern toben würde, und das wunderte ihn keineswegs.
Er hatte sich von seiner Familie als Geburtstagsgeschenk eine Party gewünscht, obwohl er in seinem bisherigen jungen Leben an diesen Tagen nie dagewesen war, weil er eben als Ferienkind geboren wurde und die Geburtstage normalerweise lieber bei seiner Großmutter am Meer verbrachte.
Doch heute sollte alles anders sein.
Lynn oder vielmehr seine Mutter hatte die Kinder aus der Nachbarschaft zu ihm nach Hause beordert und nun tobte er mit ihnen zusammen durch die Betten seiner Eltern, aß Kuchen und alberte unbeschwert herum.

Dabei fiel ihm irgendwann auf, dass die Luft über dem Ehebett seiner Eltern durch das Herumtollen zunehmend vom aufgewirbelten Staub geschwängert wurde und dieser schließlich in Flusen-Form, den Fallschirmen einer Pusteblume nicht unähnlich, im gesamten Zimmer herumschwirrte und irgendwann vom Sommerwind durch das weit offenstehende Fenster nach draußen getragen wurde.
Als Lynn dies bemerkte, wurde er plötzlich mux-mäuschen-still und fragte sich, was all die Kinder in der Wohnung seiner Eltern taten, denn er kannte nur eins von ihnen persönlich. Und das war eine Klassenkameradin von ihm, die älteste Tochter eines Arbeitskollegen seines Vaters. So jedenfalls hatte er es vernommen, als sein Vater kürzlich mit seiner Mutter am Abendbrottisch darüber debattiert hatte, warum ausgerechnet sein Sohn dieses Jahr in den großen Ferien nicht zu seiner Oma ans Meer wollte, sondern lieber in der brütenden Hitze der beengenden Kleinstadt verweilte.

Just in diesem Augenblick zupfte ihn die Tochter des Arbeitskollegen seines Vaters am Ärmel und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Dann spürte Lynn in seiner Bauchnabelgegend ein kribbelndes Gefühl und plötzlich wurde er mit all den anderen Kindern aus der Nachbarschaft von einer unsichtbaren Macht am Nabel seiner Kindheit fortgerissen.
Fort aus dem Schlafzimmer seiner Eltern. Fort aus dem trauten Heim. Fort aus der kleinen Stadt. Hin zum großen Meer. Zum weitläufigen Strand. In mitten des Rhythmus des Wellenrauschens hinein. Mitten hinein in die Freiheit des Abenteuers.
Auch dieses Mal wunderte er sich nicht darüber. Selbst die Fallschirme der ungezählten Flusen-Pusteblumen waren ihm gefolgt und sahen nun vollends nicht mehr wie der heimische Staub unter dem Bett seiner Eltern aus.

Lynn jauchzte vor Glück, denn er fühlte sich geborgen, obwohl ihm klar war, dass er im Wachzustand der Realität seines heranwachsenden Seins nie eine solcher Geburtstagsparty hatte ausgerichtet beziehungsweise ausrichten lassen. Denn dazu hatte es ihm im Kindes- und Jugend- und jungen Erwachsenenalter gänzlich an Freundschaften gemangelt.

Dann berührte schließlich irgendwer sanft seine nackten Schultern und strich mit sanfter Leichtigkeit darüber wie eine Daunenfeder. „Du musst aufstehen, Lynn. Du verpasst sonst noch deinen Zug“, summte ihm eine Stimme ins linke Ohr, schlug Windräder durch seine Gehirnwindungen und purzelte auf der anderen Seite seines Kopfes zum rechten Ohr wieder heraus.
Schläfrig erkannte er in ihr seine Seelenfreundin und lächelte. Es war der Tag der heiligen drei Könige. Er war längst erwachsen geworden und bald würde er sich wieder auf seinen Weg machen, …

 

© CRSK, LE, 01/2025

Bild: KI-generiert mit Leonardo.ai (Hintergrund & Junge in Einzelprompts), die „Fallschirmspringer“ stammen von Pixabay und composed wurde das Bild mit Affinity Publisher.