Vor dem Aufwachen

Vor dem Aufwachen

Kreatives Schreiben

Vor dem Aufwachen ist ein Text über dem Gabmat. Ein Wesen, was Gaben frisst und und Menschen transformiert. Es ist Lynns Traum.

Vor dem Aufwachen

„Der Gabmat hat noch immer Hunger“, murmelte Lisa ihrem Lynn zu und runzelte die Stirn. „Und wenn du nicht aufpasst, frisst er dir am Ende noch die Haare vom Kopf“, fuhr sie leise fort. Er scheint mir, wie das Feuer in deinem Herzen zu sein, dass das Strandgut deines Lebens vertilgen will, um es schließlich der Asche zu übergeben.“
Lynn sagte nichts und versuchte mit seinen Blicken den Nebel zu durchdringen, der seit Tagen schon mal mehr und mal weniger die Stadt einwattiert hatte, so dass ihr Leben nur noch gedämpft zu ihm durchdrang.
„Und wenns doof läuft für dich“, sprach Lisa weiter, so als ob sie die Watte da draußen gar nicht wahrnahm, „dann macht dich der Gabmat naggisch. Naggisch an Leib und Seele. Naggisch im Herzen. Dann bist du irgendwann nur noch als suboptimaler Obstrahent in Obstanz unterwegs und gar nicht mehr als kontinentales Plus.“
Lynn konterte nicht, sondern schwieg weiter. Er schob dem Gabmat noch immer eine Gabe nach der anderen in den Schlund. Ohne Punkt und Komma.
Und Lisa prustete: „Ohne Puschi-Muh und Zuckerguss. Sonst ists vermutlich aus mit der Zuckermaus“
„Ja, ja, ich weiß“, zuckte Lynn mit seinen Schultern. „Dann ist es ebenso. Na und!? Es ist doch sowieso nur ein Traum, dessen Inhalte im nächsten Moment in Schall und Rauch aufgehen werden, oder?“

 

© CRSK, LE, 01/2025

Geburtstag

Geburtstag

Kreatives Schreiben

Der Text „Geburtstag“ berichtet von einem Traum, den Lynn schon als Kind gehabt hat. Einmal mit anderen Kindern, Freunden, Geburtstag feiern.

Geburtstag

Es war fünf Uhr in der Früh. Lynn schlief den Schlaf der Gerechten, und auch die Sonne war noch nicht aufgegangen. Lynn träumte gerade, dass er wieder acht Jahre alt sei und nun mit den anderen Kindern aus der Nachbarschaft durch das Ehebett seiner Eltern toben würde, und das wunderte ihn keineswegs.
Er hatte sich von seiner Familie als Geburtstagsgeschenk eine Party gewünscht, obwohl er in seinem bisherigen jungen Leben an diesen Tagen nie dagewesen war, weil er eben als Ferienkind geboren wurde und die Geburtstage normalerweise lieber bei seiner Großmutter am Meer verbrachte.
Doch heute sollte alles anders sein.
Lynn oder vielmehr seine Mutter hatte die Kinder aus der Nachbarschaft zu ihm nach Hause beordert und nun tobte er mit ihnen zusammen durch die Betten seiner Eltern, aß Kuchen und alberte unbeschwert herum.

Dabei fiel ihm irgendwann auf, dass die Luft über dem Ehebett seiner Eltern durch das Herumtollen zunehmend vom aufgewirbelten Staub geschwängert wurde und dieser schließlich in Flusen-Form, den Fallschirmen einer Pusteblume nicht unähnlich, im gesamten Zimmer herumschwirrte und irgendwann vom Sommerwind durch das weit offenstehende Fenster nach draußen getragen wurde.
Als Lynn dies bemerkte, wurde er plötzlich mux-mäuschen-still und fragte sich, was all die Kinder in der Wohnung seiner Eltern taten, denn er kannte nur eins von ihnen persönlich. Und das war eine Klassenkameradin von ihm, die älteste Tochter eines Arbeitskollegen seines Vaters. So jedenfalls hatte er es vernommen, als sein Vater kürzlich mit seiner Mutter am Abendbrottisch darüber debattiert hatte, warum ausgerechnet sein Sohn dieses Jahr in den großen Ferien nicht zu seiner Oma ans Meer wollte, sondern lieber in der brütenden Hitze der beengenden Kleinstadt verweilte.

Just in diesem Augenblick zupfte ihn die Tochter des Arbeitskollegen seines Vaters am Ärmel und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Dann spürte Lynn in seiner Bauchnabelgegend ein kribbelndes Gefühl und plötzlich wurde er mit all den anderen Kindern aus der Nachbarschaft von einer unsichtbaren Macht am Nabel seiner Kindheit fortgerissen.
Fort aus dem Schlafzimmer seiner Eltern. Fort aus dem trauten Heim. Fort aus der kleinen Stadt. Hin zum großen Meer. Zum weitläufigen Strand. In mitten des Rhythmus des Wellenrauschens hinein. Mitten hinein in die Freiheit des Abenteuers.
Auch dieses Mal wunderte er sich nicht darüber. Selbst die Fallschirme der ungezählten Flusen-Pusteblumen waren ihm gefolgt und sahen nun vollends nicht mehr wie der heimische Staub unter dem Bett seiner Eltern aus.

Lynn jauchzte vor Glück, denn er fühlte sich geborgen, obwohl ihm klar war, dass er im Wachzustand der Realität seines heranwachsenden Seins nie eine solcher Geburtstagsparty hatte ausgerichtet beziehungsweise ausrichten lassen. Denn dazu hatte es ihm im Kindes- und Jugend- und jungen Erwachsenenalter gänzlich an Freundschaften gemangelt.

Dann berührte schließlich irgendwer sanft seine nackten Schultern und strich mit sanfter Leichtigkeit darüber wie eine Daunenfeder. „Du musst aufstehen, Lynn. Du verpasst sonst noch deinen Zug“, summte ihm eine Stimme ins linke Ohr, schlug Windräder durch seine Gehirnwindungen und purzelte auf der anderen Seite seines Kopfes zum rechten Ohr wieder heraus.
Schläfrig erkannte er in ihr seine Seelenfreundin und lächelte. Es war der Tag der heiligen drei Könige. Er war längst erwachsen geworden und bald würde er sich wieder auf seinen Weg machen, …

 

© CRSK, LE, 01/2025

Bild: KI-generiert mit Leonardo.ai (Hintergrund & Junge in Einzelprompts), die „Fallschirmspringer“ stammen von Pixabay und composed wurde das Bild mit Affinity Publisher.

Der Traum

Der Traum

Kreatives Schreiben

Der Traum ist ein Text über einen Nacht-Traum, den Lynn neulich gehabt hat. Er träumte von der Transformation seines Daseins als Fisch.

Der Traum

„Wenn Jonas aus dem Wal sein Reisegefährt theoretisch hätte aufessen können, um sich endlich aus der Finsternis der Allmacht Gottes zu befreien, so kann ich mich auch gleich selbst verspeisen, um mich zu transformieren“, dachte Lynn, als er eines Nachts mit den großen Fischen im Wasser schwamm und den Mond anblubberte.
Währenddessen sah er sich selbst dabei zu, wie er tatkräftig damit begann, sein Unterbewusstsein vom Fischschwanz an Stück für Stück in nackte Gräten zu verwandeln. Denn die Zeit würde dies letzten Endes sowieso mit ihm anstellen, wenn sie fertig mit ihm gewesen wäre und es ihm nicht vorher gelingen wollte, sich in Liebe zu transformieren.
Dessen war er sich glasklar bewusst. So klar wie die Kloßbrühe seiner Mutter hätte jemals sein können, wenn ihr nicht vorher eben jene Klöße im Wasser auseinandergefallen wären und sich ins Unwohlgefallen einer Mehl-Plürre aufgelöst hätten.
Und dann erwachte Lynn, weil ihm seine Lisa einen nassen Waschlappen ins Gesicht geworfen hatte, und ihm am Ende ein Sonnenstrahl an der Nase kitzelte und er obendrein deshalb noch laut niesen musste.

 

© CRSK, LE, 01/2025

Zur Taverne mit dem Mondlicht in der Laterne

Zur Taverne mit dem Mondlicht in der Laterne

Kreatives Schreiben

Der Text die Taverne mit der Laterne gewährt dem Leser einen spannenden Einblick hinter die Kulissen der Wichtel-Nordpol-Genossenschaft.

Zur Taverne mit dem Mondlicht in der Laterne

Es war Mitten im Oktober, irgendwann kurz vor dem abrupten Ende der Blütezeit des Neo-Kommunismus mittels endgültiger wirtschaftlicher Teilöffnung der Binnenmärkte für den Überseehandel mit dem südlichen Hemisphären-Staaten des Neo-Kapitalismus der Erde 2.0.
Es dauerte noch einige Jahre, bis der vierte Weltkrieg ausbrechen würde. Aber das kommerzielle Auf- und Wettrüsten zwischen den kulturellen Filterblasen hatte längst begonnen.

Die Nordpolgenossenschaft der Wichtel des wiederauflebenden Jul-Kultes der Vorfahren der alten nordischen Völker stand aufgrund des menschengemachten Kommerz-Terrors zunehmend unter dem Hochdruck gewisser personeller, aber auch infrastruktureller Produktionsengpässe. Niemand außer deren Chefetage hatte die Entscheidungsgewalt darüber gehabt, dem nachhaltig Abhilfe verschaffen zu können. Doch aus unerfindlichen Gründen schien diese Chefetage, wie sie nebulös vom allgemeinen Wichtelvolk genannt wurde, sich für handlungsunfähig zu halten.
Der allgemeine Wichtel-Mob vermutete, dass die Nostalgiesucht, der längst vergangenen alten Zeiten des früheren sozialistischen Realismus wegen, schuld daran war. Doch definitiv wissen, tat das an der Basis niemand und darüber zu sprechen, war von den linientreusten neuen Politischen, die der Chefetage besonders nahestanden, unter Strafverfolgung der Plaudersüchtigen offiziell verboten worden.

Und so nahm die Geschichte an einem Dienstagabend in der zeitlosen Stimmung der letzten goldenen Herbsttage im Oktober des hohen Nordens ihren Lauf. Und Väterchen Frost ließ in den Nachtstunden dieser Tage auch schon erste Vorboten des nahen Winters vorauseilen:

„Eyh, Breschnew, Alter …“, grunzte der stämmige Chruschtschow und wischte sich mit seinem muskulösen Handrücken über den Dreitagebart. Doch sein Sitznachbar schnarchte nur laut in die Zipfelmütze hinein, die ihm ins Gesicht gerutscht war, während er mit dem Oberkörper auf der Tischplatte lag.
Der Schankwirt schlurfte herüber und murmelte: „Die Chefetage treibts aber auch gerade echt hart mit euch allen und insbesondere mit euch beiden aus der Mannschaft der Werkstätten. Da iss so gar nix mehr übrig von den früher skandierten Werten, finde ich.“
Chruschtschow blickte auf. Seine Augen wirkten klein, so zugeschwollen wie sie waren, und rote Äderchen überzogen die Augäpfel. Seine Zipfelmütze hing ihm nur noch auf halb acht auf dem kahlen Kopf. Sie muss einmal strahlend rot gewesen sein. Doch diesen Zustand hatte sie schon lange hinter sich gelassen.
„Willste mich verarschn? Werte? Welche Werte denn?“, fuhr er den Wirt lautstark an.
Der Schankwirt zuckte mit den schmalen Schultern, strich sich mit den langgliedrigen Fingern das fettige Haar aus der Stirn und schielte zur Laterne hinauf, die an dem zentralen Deckenbalken der Taverne hing und den Hauptraum in fahles Mondlicht tauchte.
„Naja …“, räusperte er sich, „Ich habe mal daran geglaubt, dass ihr vor dem Herrn alle gleich wärt und uns, äh … euch allen alles gemeinsam gehören würde und ihr euch dafür nicht zu Tode schuften müsstet“.
Chruschtschow grunzte erneut. Dieses Mal um einiges lauter und es schien so, als ob er dabei eine Träne im linken Augenwinkel verdrücken würde. „Das Papier, auf dem sie diese Statuten und deren Pläne ursprünglich geschrieben haben und diese nun seit ungezählten Zeiten alle fünf Jahre wieder beteuernd neu aufsetzen, ist geduldig.“
Und einige Augenblicke später wischte er sich erneut mit dem Handrücken über sein unrasiertes, kantiges Gesicht. „Ich habe Durst. Bring mir noch einen Humpen von deinem Kräuter-Met! Vielleicht sehe ich dann die Zukunft rosiger und einen Sinn in dem, dass wir tagaus und tagein in den Werkstätten der Chefetage schuften …“

Als der Schankwirt mit dem neuen Humpen Met vor seinem Tisch zum Stehen kam, blickte Breschnew verschlafen hoch und murmelte: „Scheiß Sucht nach dem schnöden Mammon! Die Menschen sind einfach nur dumm! Und die alljährlich wiederkehrende Konsumschlacht bringt uns Wichtel an den Rand der möglichen Taktung unseres schier unendlichen Pensums an Fließbandarbeit.“
Chruschtschow verzog seine Miene. Er war sauer: „So viel können wir gar nicht mit unseren Weibern und denen der anderen rammeln, wie es nötig wäre, um genügend Nachwuchs für die noch kommenden Jahrhunderte der Maloche in den Werkstätten heranzuziehen. Dabei bräuchten wir dringend handfeste Verstärkung. In allen Lebenslagen und Bereichen, was die Werkstattarbeit und aber auch das Wirken am heimischen Herd und in den Stallungen der Familie Rudolph angeht.“

Der Schankwirt lachte höhnisch: „Ach ja, die Rudolphs … Habt ihr schon die neusten Gerüchte gehört? Die über Rudolph Junior Nummer Neunundsechzig?“
Breschnew grölte und verteilte dabei eine ordentliche Portion Spucke über den Tisch: „Jawoll-Ja. Der soll, wie ich von meiner Olga erst gestern vernommen habe, ein ganz umtriebiger sein … Ja, ja.“
Dabei grinste Breschnew breit und war plötzlich wieder hell wach. Auch er hatte zugeschwollene, rotgeäderte Augen und sein Allgemeinzustand verhieß eine permanente Überarbeitung in Verbindung mit einem chronischen Schlafmangel.
„Der pfeift der Minna auf ihrem letzten Loch den Marsch der Unzucht mit seinem Decker, hat mir die Olga gestern beim Stelldichein ins Ohr geflüstert“, fuhr Breschnew mit gesenkter Stimmlage fort und wischte sich mit seiner schwieligen Hand über das zerfurchte Gesicht. „Und ich kann euch sagen, meiner Olga scheint allein die Vorstellung davon schon irgendwo gefallen zu haben??!!“, fuhr er fort und rutschte dabei unruhig mit seinem muskulösen Hintern auf der Holzbank hin und her.
„Ich fall‘ vom Glauben ab!“, stöhnte Chruschtschow, nahm einen kräftigen Schluck aus seinem Humpen voller Kräuter-Met. Dabei verschluckte er sich und bekam davon einen ordentlichen Hustenanfall, so dass Breschnew ihm mit seiner grobschlächtigen Hand zwischen die Schulterplätter klopfte.
„Joahr, ich übrigens auch. Meine Olga die überrascht mich da immer wieder. Das kann ich dir sagen … Aber eigentlich iss datt nix für mich. Ich bin da eher konservativ und altmodisch gestrickt und brauche, was das angeht, auch keine fremden Betten und Federn.“

Dann läutete die Turmglocke am großen Weiher Sturm.
Der Schankwirt räusperte sich: „Oh-oh! Eure Pause ist schon zu Ende. Ihr müsst wieder an die Arbeit gehen! Sonst bekommen die Politischen noch Wind davon und ihr dürft wieder zusätzliche Strafpunkte abarbeiten.“
„Diese neuen Emporkömmlinge? Also echt mal …“, schnobte Breschnew wütend auf, obwohl er es aus leidlicher Erfahrung besser wissen müsste.
„Ja, ich weiß, die sind alle nur um die dreihundert Jahre jung und im Vergleich zu uns beiden noch echte Grashüpfer in der Wichtellandschaft. Nur leider haben die, im Gegensatz zu uns, einen guten Draht zur obersten Chefetage und wer weiß, was die denen flüstern würden, wenn sie mehr Wind von unseren kleinen Aufmüpfigkeiten bekämen? Wenn sie es nicht eh schon längst alles wissen und uns deshalb die vielen Extraschichten an Arbeit aufbrummen …“, entgegnete ihm Chruschtschow leise. Dann wuchtete er mühevoll sein Hinterteil von der Bank hoch.

Noch bevor er und Breschnew mit einigem Getöse die Schenke verlassen konnte, legte der Schankwirt ihnen beiden im Vertrauen jeweils eine seiner schmierigen Hände auf ihre Schulter: „Habt ihr eigentlich je die von der Chefetage zu Gesicht bekommen? Also ich meine so ganz persönlich von Angesicht zu Angesicht? Ihr zwei gehört doch längst zum Inventar der Nordpol-Genossenschaft, so alt wie ihr beide schon seid. Oder?“
Chruschtschow wieherte leise los: „Mit Freuden würde ich vom Unglauben abfallen und Breschnew zur Strafe von hinten mit meiner Rute nehmen und dabei auch noch Lust empfinden, wenn ich daran zweifeln täte, dass in der besagten Chefetage nur deshalb ein noch viel betagterer, seniler Rauschebart sitzt, weil die Menschen selbst ihn mit ihrer alljährlichen Zelebration und deren Ritualen drumherum zu dem gemacht haben, was er bis heute ist und das Wichteltum, mit all dem Schaffen Kraft ihrer Vorstellung kreiert haben. Genau deshalb malochen wir uns ja am Ende noch zu Tode und genau deshalb werden unsere Wünsche nach einer sozialgerechten Wichtelgewerkschaft wohl nie erfüllt werden.“
„Aber Psssst … haltet bloß eure Klappen! Sonst muss ich am Ende noch zur Strafe bis in alle Ewigkeit den Abort des Alten putzen.“

Der Schankwirt lachte laut auf und klopfte seinem Schankgast extra stark auf die Schulter, während er hinter dem Rücken der beiden sehr offenherzigen Kompagnons zur Laterne hinauf schielte, die am Deckenbalken seiner Schankstube hing. Verwaschen murmelte er: „Ach, wenn es doch nur die Jungspunde wären …“

Und als er schließlich die Türen der Taverne hinter den beiden ältesten Wichteln des Nordpols schloss, kletterte ein Winzling von einem Mann eifrig aus der Laterne unter dem Deckenbalken und morste mit seinem Mondlicht eine eilige Depeche gen neunzigsten Breitengrad des Nordpolreiches, um sich seine Prämie und die Verlängerung der Ausschanklizenz seines Herbergsvaters um mindestens ein weiteres Jahrhundert bei der oberen Chefetage zu sichern.
„Hervorragende Arbeit, mein Großer!“ quickte er mit seiner hohen Stimme zum Schankwirt herüber. „Wir müssen mit dem Takt der Menschenzeit gehen. Sonst landen wir am Ende noch alle am Südpol bei den Pängus. Und wenn dann der Alte gänzlich senil wird, weil sich der Glauben der Menschheit an uns nach und nach überholt hat und sie unserer irgendwann überdrüssig werden, na dann Prost Mahlzeit! …“

 

Nachwort:

Es ist der Dreizehnte, acht Tage vor dem ehemaligen Julfest der nördlichsten Völker der nördlichen Hemisphäre, im Jahre Siebenundsiebzig des dritten Jahrtausens des ehemaligen Gottvaters der frühen Christenheit. Ich, der zu jener Zeit älteste unter den Wichteln meiner Generation sitze hier im Exil des Vergessens.
Von der ehemaligen Chefetage der Nordpolgenossenschaft in die Hemisphäre des Südpols verbannt, existiere ich nur noch als Schatten meiner selbst zusammen mit den wenigen übrig gebliebenen Pängus im Auffanglager der sich überlebten und insgesamt ad acta gelegten Sagen- und Mythen- sowie Märchen- und Fantasiegestalten.

Und nun sitze ich, der früher Chruschtschow genannt wurde – ein längst verwitweter Wichtel – hier in meiner Filterblase inmitten des Auffanglagers und schreibe an meinen Memoiren. In der Hoffnung, ein Mensch möge diese irgendwann finden, um mit ihrer Hilfe das wahre sich Erinnern wieder zu erlernen, um so vielleicht erneut einen Funken der Hoffnung unter die Reste der Menschheit sähen zu können.

Denn die letzte Heißperiode dieser Welt dauert noch immer an. Die Erde ist mit den verflossenen Jahrhunderten in extreme Zustände geraten, und die Menschheit hat sich dabei fast selbst ausgerottet. Wirtschaftsordnungen wie der Kapitalismus oder der Kommunismus und der Sozialismus haben sich überholt, so auch ihre damals verzweifelt angegangen Versuche der Neo-Wiedergeburten.
Es gibt keine Staatenstrukturen mehr und auch keine Demokratien oder gar Diktaturen und Monarchien.

Die wenigen noch übrig gebliebenen Menschen haben sich ihrer Urwurzeln besonnen und pflegen entweder nur noch kleine, untereinander zersiedelte Sippschaften oder ziehen als kriegerische Horden durch die Einöden dieser Welt.
Den alten Religionen haben sie mit der endlosen Reihe an vergangenen Jahrhunderten nacheinander abgeschworen. Und deren Götter haben sie längst vergessen.
Inzwischen glauben sie nur noch an die ehemaligen Glanzzeiten der vor sich hin rottenden Relikte einer ehemals hochtechnisierten Welt. Denn es geht im verwaisten Volksmund die Mär um, dass man diese Relikte zum Leben erwecken könnte, wenn man gewisse kryptische Symbole an den verwitternden Mauern zu Alt-York irgendwo auf einem der Nordkontinente entschlüsseln und die verlorengegangenen Aggregate wiederentdecken würde, um sie dann irgendwie erneut zum Leben zu erwecken.
Doch nur vereinzelte Ur-Ur-Ur-Ur-…-Urahnen der ehemaligen Ingenieure von damals glaubten noch ernsthaft an diese Mär und hüteten ihre indifferenten Vorausahnungen vom Wissen zu dieser Sache wie einen geheimen Gral vor der Allgemeinheit der Sippen und Horden. 

Ich selbst, Chruschtschow, weiß auch nur darüber Bescheid, weil ich mich jedes Jahr zum Julfest nachts aus dem besagten Auffanglager schleiche und die alte Tradition meiner ehemaligen Chefetage wieder aufleben lasse. Dann suche ich heimlich die nahegelegenen Lagerfeuer der vereinzelten Horden sowie die verfallen Kamine der alten Siedlungen, in denen die wenigen Sippschaften wieder hausen, heim und schaue den Ur-Ur-Ur-Ur-…-Urahnen beim Schlafen zu und höre ihre Träume.

 

© CRSK, LE, 10/2024

„Du Oarsch!

„Du Oarsch!

Kreatives Schreiben

Du Oarsch! ist ein emotionaler Text über psychische Nöte und Krisen. Lisa ist sauer und Lynn ist durch den Wind.

Kreatives Schreiben

Die Vertonung von Come on.

„Du Oarsch!

Du saubleeder Saupreiß due! Dia woasch i die Oahrwoaschln mit Chili und Knofi, wenn du dir noch oan Schritt vors Brett woagst! Des soag i diar und geb diar Brief und Siegel draaf. Du Depp!“, schimpfte Lisa lauthals mit sich selbst und knallte dabei mehrfach ihre immer wieder aufflammende Wut gegen Wände, Türen und Fenster des Hauses.
Nichts, aber auch wirklich gar nichts hatte sie dazu bewegen können, noch einmal ruhig auszuharren und die drohend befürchtete Misere auch weiterhin geduldig abzuwarten. Denn sie hatte die Nase im wahrsten Sinne des Wortes vor lauter Verschnupfung und Verkopfung gestrichen voll.
Seit Tagen schon träumte sie vom Bau der drohenden Klagemauer in Lynns Wahlheimatstadt und bekam schließlich gestern Morgen in aller herrgottsfrühe die fette Schlagzeile darüber brühwarm von ihrem und Lynns Händie serviert.
Die Klagemauer über ihre ewige Farce mit der gefühlten Endloswarterei auf Godot. Auf den Augenblick, der ihr sagen würde: Ja, es ist alles gut. Oder: Ja, es wird alles gut. Oder: Ja, es wird alles gut und wenn es noch nicht gut ist, dann ist es noch nicht das Ende. Oder what ever for positive Thinking in dieser diesjährig nasskalten Weihnachtszeit.
Sie schlug mit der flachen Hand auf Lynns Küchentisch und brüllte: „Ich hob die Schnauzn voll! Miar egal, ob i heit oder moargn oder übermoargn Post bekomme. I mog nimma! I mog miar nimma den Oarsch aufreißn, damit am Ende irgndwer an mi denkt oda au ned.“

Lynn schluckte und knetete sich nervös die Hände. Er wusste um den Frust seiner Lisa und konnte die Heftigkeit darüber recht gut nachvollziehen. Schließlich ist er erst kürzlich selbst mit den Unwegsamkeiten seiner und ihrer Psyche Schlitten gefahren, als er im Norden unterwegs gewesen war, um die Unterlagen für seine weiteren Schritte der Transition zusammenzusammeln.  
Da war es ihm wie ein zwischenzeitlicher Serverausfall seinerseits vorgekommen, als ihm seine insgesamt überspannte Wahrnehmung plötzlich seine alten Urängste von damals suggerierte und ihm vorgaukelte, wieder im Wahn gefangen zu sein. Im Wahn darüber, nicht geliebt und verlacht zu werden, es verkackt zu haben und vertrackt zu sein. Im Wahn darüber, nicht akzeptiert und toleriert zu werden. Im Wahn, Angst vor der Angst haben zu müssen. Und im Wahn, sich nicht im Leben zurechtzufinden und gänzlich allein damit zu sein, keine Freunde zu haben und niemanden, der an seinem Leid teilhaben wollte. Und auch im Wahn darüber, alles falsch gemacht zu haben in seinem bisherigen Leben.

Lynns Puls galoppierte ihm davon, wenn er daran dachte, dass er auf dieser Reise den Teufel in sich gefühlt hatte, wie er ihm Hörner aufgesetzt, den Pferdefuß angezogen und den Rattenschwanz an Zweifeln hinter ihm hergezogen hatte, um ihn durch die Altstadt zu treiben und den Jüngern seiner Vergangenheit als hoffnungslosen Narr vorzuführen.
So sah er sich wieder und wieder rücklings auf der Spielzeugbahn des Christkindlmarktes vor Ort sitzen und nackt in der Seele quer über den Festplatz rattern. Damit auch ja niemand auf die Idee kommen könnte, ihn ernst zu nehmen in seiner Wahnhaftigkeit vom Heiland der milden Gaben, an denen man sich laben konnte, wenns einem Mal frierte und man das Leid des Zweifels gebierte.

Enttäuscht über sich selbst schloss Lynn schließlich die Augen und griff nach der Hand seiner Lisa. „Komm! Lass uns verschwinden und verwinden das Leid dieser Tage! Lass uns das Kämmerlein im geschmerzten Herzen verbinden und lass uns winden die Wunden mit bunter Farbe, so dass wir zumindest innen fröhlich sind.

© CRSK, Le, 12/2024

Send me your Love my Darling

Send me your Love my Darling

Kreatives Schreiben

Send me your Love, my Darling ist ein Text, der etwas düster daher kommt und indem es um das Phänomen Zeit geht. Mal vergeht sie rasendschnell und mal quälend langsam. Und immer wird sie als subjektiv empfunden, wenn man über sie spricht.

Send me your Love my Darling

„Tick-Tack, die Zeit läuft“, sprach der Waldläuf und schaute Lynn verschmitzt an. Während die schwarzen Pupillen seiner Augen unaufhörlich wie zwei Pendel hin und her schwangen oder vielmehr wackelten und den Zeitbetrachter dabei ganz schwindelig machten.
Lynn blickte verdutzt drein. Ihm fehlten gefühlte Stunden seines Bewusstseins, als er auf die ihm fremde Ruhla-Uhr schaute, die ihm wohl irgendwer um sein linkes Handgelenk gebunden haben musste, während er weggetreten war.
Das letzte, woran er sich noch erinnern mochte, war die Tatsache, dass er sich vergangene Nacht nach getaner Arbeit spontan auf den Weg eines spätsommerlichen Spaziergangs gemacht hatte, um sich runterzuholen vom hektischen Lauf der Zeit und sich danach vielleicht noch – des entspannteren Einschlafen wegens – zu Hause leiblich und seelisch sowie moralisch lustvoll zu befriedigen.
Doch alles, was vor seinem Zusammentreffen mit dem Waldläuf war und nach seinem Logout aus dem Zeiterfassungssystem in der Firma, lag verschwommen im Nebel seiner Wahrnehmung.

Er musste Stunden ziellos durch die gewitterschwangere Sommernacht gelaufen sein, bevor er in die Nähe seines Zuhauses gekommen war. Stunden, damit jeder einzelne Schmerz der Arbeit mit jedem Schritt mehr und mehr von ihm abfallen konnte. Jeder Druck. Jedes eilige Abgehetzt-Sein. Und jede Not. Stunden, um sich wiederzufinden im Sein.
Stunden, um sich wieder langsam ins erschöpfte Wohlbefinden einzutakten und die Maloche des Förderbandes der Zielvorgaben hinter sich zu lassen.
Gefühlte Stunden, die er nicht gezählt hatte und die ihm nicht mehr erinnerlich präsent waren. Bis zu dem Zeitpunkt nicht mehr präsent, als er auf den Waldläuf getroffen war. Und das mitten in der Stadt?! Unmittelbar in seinem Kiez. Wo er sonst mit sich allein im Café eine Macha-Latte trinken ging, wenn er sich etwas gönnen wollte.

Und nun stand er völlig verdattert dem Waldläuf gegenüber und betrachtete fasziniert dessen klapprigen Drahtesel. Dessen Einrad-Fahrgestell war nämlich mit farbenfrohem Garn umhäkelt, und lauter bunte Franzen waren an die Felge des Rades geklebt und umwoben deren Speichen.
Während der Waldläuf das Einrad aus dem Stand heraus balancierte, grinste sein roter Mund sehr breit und zeigte dabei seine makellosen Zähne.
„Tick-Tack, die Zeit läuft“ sprach er noch einmal zu Lynn. Nur dieses Mal tat er es mit einer Patronenhülse zwischen den Zähnen. Woher diese so urplötzlich aufgetaucht war, konnte Lynn nicht mit Bestimmtheit sagen. Doch ihm wurde sehr mulmig dabei zu mute.
„Du hast da was für mich“, fuhr der Waldläuf fort und wies dabei um sich herum auf die überall mit schwarzen Tüchern verhangenen Schaufenster der Straße.
Das war Lynn vorher gar nicht aufgefallen und er spürte in diesem Wissen, wie trocken seine Mundhöhle mit einem Male geworden war. Er wollte dem Waldläuf etwas entgegnen, doch er hörte nur das ausgedörrte Hüsteln seiner Kehle.

„Ich will die Briefe deines Herzens und die Postkarten, die von deinem Leben erzählen. Alle! Auch die, die du noch gar nicht geschrieben hast“, fuhr der Waldläuf fort.

Lynn schluckte. Damit hatte er nicht gerechnet, als er völlig ausgepowert das Werksgelände verlassen hatte, um sich eigentlich auf dem direkten Wege nach Hause zu begeben.
Und nun stand er einem verwitterten Clown gegenüber, der eher an ein vertrocknetes Hutzelmännchen – mit Lumpen um den Leib gewickelt – erinnerte, als an ein stattliches und farbenfrohes Geschöpf der Großstadt-Zirkus-Welt.

Mit zittriger Stimme fragte Lynn schließlich: „Warum nennt man dich eigentlich den Waldläuf?“
Doch der Waldläuf ging überhaupt nicht darauf ein, sondern beugte sich von seinem Einrad herunter, um Lynn direkt in die Augen zu schauen. Seine Stimme klang wie der verwitterte Deckel eines Sarges, als er schlussendlich weitersprach: „Send me you! Send me your Love, my Darling!“

„Und alles, was ich für ein Stoßgebet gen Himmel benötige“, fügte Lynn flüsternd hinzu, bevor ihn der Waldläuf mit Haut und Haar verschlang und die Lippen seines inzwischen rot verschmierten Mundes die leere Patronenhülse aufs nasse Kopfsteinpflaster spuckten.
Der Parkwächter würde sie bei seinem nächsten Rundgang zur vollen Stunde finden und sich darüber wundern, warum jemand mittels diverser Punzen das Wort Freiheit in den Boden der Hülse graviert hatte.

 

 © CRSK, LE, 09/2024