Überfahren

„Die Liebe brüllt nicht!“, fuhr Lynn fort.
„Ach???“, raunzte Lisa zurück. „Das hat sich letzte Woche aber ganz anders angefühlt.“, fuhr sie fort und machte dabei einen entzückenden Schmollmund. Sie stand mitten im Regen und sah dabei einem begossenen Pudel nicht ganz unähnlich.
„Ja!“, fuhr Lynn auf. „Nur dass uns der Dicke August mit seinem: ständigen ‚Hior Kolläische, gommä mol mid! Üsch zeesch dior mol, wo däro Hammor hängd!‘ nicht gemocht, geschweige denn nett behandelt hat.“
Lisa verschränkte ihre Unterarme vor ihrer unsymmetrischen Weiblichkeit
„Der Dicke kann nur ‚Hü und Hott‘ und sich minütlich nach den Winden der eigenen Ausdünstungen drehen, sonst nix“, fuhr Lynn fort, ohne zu bemerken, dass Lisa auf stur geschaltet hatte. „Haste das etwa letzten Donnerstag, als wir alle aufm Baugrund waren, nicht bemerkt?“
Lynn zog die Stirn kraus, schirmte seine Augen mit der Kapuze vor dem Regen ab und ließ seine Blicke wandern. „Schau sie dir an, diese längst vergessenen Glücksritter mit ihren Burgfräuleins. Wie sie hier überall im Windschatten der Wanderdünen aus lauter alten Gedöns herumstehen und auf das Halali der Lebensgeister warten. Glaubst du etwa im Ernst daran, dass die noch mal rauskommen? Ich meine so richtig rauskommen. Aus sich selbst. Aus ihren teilweisen verfahrenen Situationen. Und aus ihrem ganz eigenen Hinterposemuckel mit dem garantiert ganz persönlich integrierten Intermezzo.“, philosophierte Lynn im Schweigen von Lisa.
Und Lisa schaute Lynn einfach nur an, während sie wie früher als Kleinkind an ihrem rechten Daumen nuckelte und etwas überfordert dreinblickte.
„Was denn, was denn, was denn? … Glaubst du etwa wirklich noch immer an Haus, Hof, Auto, Hund sowie Kind und Kegel? Willst du so etwa glücklich werden?“, versuchte Lynn seiner Lisa unbeholfen mit Worten die Schulter zu tätscheln.
Und etwas später fuhr er dann noch fort: „Na, na, … bleiben wir mal lieber realistisch. Dieser Zug dürfte längst abgefahren sein.“
Und dann heulte sich Lisa innerlich die Seele aus dem Leib. Der Dicke August hatte sie wenigstens mit Worten hin- und her geschupst und sie verbal spüren lassen, was er von ihr hielt. Doch Lynns Ansagen hingegen waren ihr meist viel zu reflektiert und auch zu hochgestochen.
Justament wollte sie genau das, was sie laut Lynn nicht tun sollte. Nämlich Brüllen. Ihren Frust laut aus sich herausschreien und dem Dicken August mal ihre Meinung geigen. So sehr hatte er sie mit seiner harschen Art überfahren gehabt, dass sie an dem besagten Donnerstag schier vergessen hatte, ihm mit der charmanten Freundlichkeit einer absolut tiefenentspannten Unmöglichkeit zu begegnen. Und genau das bereute sie nun. Denn die Schlagfertigkeiten fielen ihr in solchen Situationen immer erst hinterher ein.
Sie fühlte sich klein und ungeliebt und hätte eben, wie gesagt, sehr gern die Liste ihrer absoluten Lieblings-No-Gos aus sich herausgebrüllt. Eben, damit Mann sie überhaupt erstmal ernsthaft wahrnahm und nicht nur für plont oder gar zahnlos hielt.
Und Lynn Loneley lächelte sie wissend an: „Du weißt doch noch: Wer herumschreit, ist meist im Unrecht, oder?“
„Du bist doof!“, maulte Lisa ihren Lynn an, kniff dabei die Augen zusammen, während sie ihre Hände wie kleine Fächer aufspreizte und damit ihre Ohrmuscheln verdeckte und Lynn am Ende dieser Scharade die Zunge rausstreckte. Denn sie fühlte sich schlichtweg überfordert von seiner Gewandtheit.
© CRKSK, LE, 07/2024