Charlotte kocht

Charlotte kocht

Kreatives Schreiben

Charlotte kocht ist ein Text über die Tatsache, dass die Liebe auch durch den Magen geht. Sinnlichkeit pur. Die Verführung des Geschmackes.

Charlotte kocht

„Die letzten Tage“, ach, was schreibe ich, „gar Wochen ging es sehr bewegt am Set meines Lebens zu“, notierte Lynn in sein Tagebuch.
Er lächelte und sinnierte dabei über all die kleinen und großen Szenen der vergangenen Stunden, Tage und Wochen. Und er freute sich, dass ihn die Ereignisse nicht erschlagen, sondern am Leben gelassen hatten, damit er sich wie ein weißer Rabe in die Lüfte hatte erheben können, um just in diesen Momenten das Paradies der Waldlichtungen in den Augen seiner Freundin im Tiefflug seiner wachen Träume ergründen zu können.
Denn sein innerer Regisseur, dem das Filmset und der gesamte Campus gehörte, hatte sich ihm gnädig gezeigt und – von langer Hand geplant – seine eine Liebe auf den Plan gerufen.

Und nun stand Charlotte in seiner Küche und brachte den Schalotten näher, wie sie royal in der Suppe ihrer beider Dasein schwimmen konnten, ohne mit den Pfifferlingen und Süßkartoffeln zu konkurrieren.
Denn Charlotte war eine Meisterin der Küche der Herzen und war sogar dazu in der Lage läufige Geister in den Gaumenfreuden der Sinne einzufangen. So saß Lynn, der gar nicht mehr lonely gewesen war, schließlich leicht bekleidet inmitten der drückenden Wärme seines Atelier-Wohnzimmers und ließ sich vom aromatischen Duft der Schalotten entflausen.

Währenddessen erleichterte sich gerade ein übellauniges Sommergewitter in den Straßen der Stadt, trommelte mit seinen Regenfingern von draußen gegen die Fensterscheiben des Hauses, in dem Lynn wohnte, perkussionierte ungezählte Achtungs-Wirbel auf den Dächern ganzer Straßenzüge und setzte kurzzeitig Gehwege und Fahrbahnen unter Wasser, so dass der Verkehr zwangsweise pausieren musste, bis die Feuerwehren die Keller zahlreicher Häuser und die Kanalisation im Bett des Straßennetztes wieder in den Takt des Untergrundes gebracht hatte.

Lynn lächelte abermals. Er hatte sich inzwischen neben seiner Charlotte auf der Couch niedergelassen und hielt vorsichtig die halbvolle Schale mit Suppe in den Händen. Während seine Freundin ihren Kopf an seine Schulter gelehnt hatte und mit den Fingern ihrer linken Hand die Kringel-Haare seines rechten Beines kraulte. Um nichts in der Welt hätte er jetzt mit irgendwem anderen da draußen im Regen tauschen wollen, denn filmisch wäre das der pure Nonsens gewesen …

 

© CRSK, LE, 08/2024

Im Spiegel

Im Spiegel

Kreatives Schreiben

Im Spiegel ist ein Lynn Lonely Text der Tagebuchart. In ihm geht es um kritische Selbst-Bewertungen von innen wie außen. In dem Lynn feststellt, dass er aus der Form seines Lebens geraten ist. Eine etwas überkritische Selbstbetrachtung, die aber dann doch oder gerade deshalb mit einer liebenden Selbstumarmung endet.

Im Spiegel

Es ist Sonntagvormittag. Nackt steht Lynn Lonely in der Mitte des Bades und blickt mit müden Augen in die Richtung des Spiegelschrankes, der an der Wand hängt. Er betrachtet sich in den Spiegeln der Türen. Sein unförmig aus dem Leim gegangener Körper wird von der Stasibeleuchtung der Badezimmer-Deckenlampe ausgeleuchtet und kundschaftet dabei jede Unebenheit und Unreinheit seiner Haut aus.
Niemand souffliert ihm ein, dass er nicht schön sei. Dennoch hört er just in diesem Augenblick des Sonntagvormittags seine innere Kritikerstimme ihm zuflüstern, dass er genau dies sei. Nicht schön. Und dass seine Beine ungezählte Besenreißer hätten und die Neigung zu Krampfadern und dass sich der Teint deren Haut zu den Füßen hin nicht von seiner besten Seite zeigen würde.
„Stimmt“, gestand sich Lynn Lonely selbst ein. „Und ich wiege derzeit mal wieder so viel wie die Altlasten auf den Schultern meiner längst vergangenen Kindertage. Und noch mehr. Mein Bauch ähnelt dem eines übermäßigen allabendlichen Biertrinkers und das obwohl ich schon lange gar keinen Alkohol mehr konsumiere“, dachte Lynn laut vor sich hin und sah die Erschöpfung in seinem Gesicht. „Er ist mittlerweile so behaart wie der des längst verstorbenen Mannes der ehemaligen Studienfreundin meiner Mutter“, fuhr er fort.

Sein innerer Kritiker kicherte: „Jeder Pickel für eine Ungereimtheit in deinem Sein! Jede rötliche Wundheit deiner Haut für einen verletzten Moment in deinem Leben. Jeder Besenreißer für eine Persona-non-Grata in deiner Vergangenheit! Jede Falte im Gesicht eine gewesene Gewalt im Wortsinn! Und jedes graue Haar eine sich sorgende Eitelkeit mehr!“

Und Lynn verzog das Gesicht und blickte säuerlich drein. „Bewertung! Bewertung! Bewertungen von innen und von außen.“, sprach er laut mit seinem Spiegelbild.
„Ja, ich weiß. Ich bin aus der Form meines Lebens gerutscht. Der Busen hängt und ist noch immer der einer Frau, zeigt aber schon die Behaarung eines männlichen Wesens. Ich weiß, was du mir sagen willst. Aber ich mag mich tatsächlich so. Mit all meiner Indifferenz und meiner mehr werdenden Körperbehaarung.“
„Auch wenn du Zweifel daran hast“, fuhr Lynn zu seinem Spiegelbild fort, „ob ich da nicht den Bock zum Gärtner meiner Wünsche und Träume mache. Doch ich fühle mich dennoch auf dem richtigen Weg und auch gut dabei.“
Er sah die Trauer in seinen Augen. Die Trauer über das Leid in seinem bisherigen Leben und die Trauer über all die vertanen Chancen. Dennoch lächelte er sein Bild im Spiegel an und nahm sich selbst dabei herzlich in den Arm.

© Le, 07/2024

Rot

Rot

Kreatives Schreiben

Rot ist eine Geschichte über eine längst vergangene Begegnung aus Lynns / Lisas Vergangenheit. Eine Begegnung mit der Frau, die Hände aus Ton hat und mit dem roten Punkt darin Miniaturen zaubert.

Rot

Die Frau mit dem Punkt in ihren Händen saß Lynn gegenüber, am anderen Ende des Verhandlungstisches und formte Argumente mit der Geschäftigkeit ihrer Hände Arbeit. Denn diese waren aus Lehm beziehungsweise Ton und konnten gar nichts anderes tun, als dem Los ihrer eigenen Geschicklichkeit zu folgen.
Der Punkt, den diese Frau ihre Eigenheit nannte, war mit roter Farbe angemalt. Sie trug ihn überall mit sich herum. So als sei er ein Omen ihres Lebens. Die Farbe, der Lehm und der Ton bildeten für Lynn eine symbiotische Einigkeit, die er nicht mit Logik erklären konnte. Das faszinierte ihn sehr.
So sehr, dass er schon die ganze Woche darüber nachsinniert hatte und darin noch gar kein Komma oder gar ein punktuelles Ende gefunden hatte. Seine Gedanken kreisten sogar nachts um diese Person und ihre Ausdruckskraft in Rot. Denn er hatte erst kürzlich im Schlaf von ihr geträumt. Und sie sich nicht tagsüber erträumt, sondern tatsächlich eines Nachts … Oder vielleicht doch auch am Tage ihre Geschichte weitergestrickt? Wer weiß das schon immer so genau.

Doch nun stand Lynn am offenen Werkstor seiner Arbeitsstelle. Zu seinen Füßen drohte die Schwelle der Werkstatthalle durch das sekündlich steigende Regenwasser geflutet zu werden. Denn es tobte sich kurz vor dem Beginn seines Feierabends ein Gewitter über der Stadt aus. Und die wütendste Zelle dieses Wetters schien justament genau über seiner Arbeit abzuhängen. So dass sich Lynn fragte sich, wie er trockenen Fußes durch den ständig anwachsenden, knöchelflachen See vor der Werkshalle würde waten können, wo er doch gar keine Gummistiefel angehabt, geschweige denn welche besessen hatte.
Es herrschte ein wildes Diskutieren und Gestikulieren in der Werkstatt und nur wenige blieben dabei so tiefenentspannt wie die Frau mit dem roten Punkt in Lynns Kopf. Sie trichtere ihm beständig das Wissen ein, das ihm bestätigte, dass er als Lurch genau durch diese Wassermassen musste, wenn er ein Frosch werden wollte. Wobei Lynn Lonely den Status eines Märchenprinzess stets und ständig tunlichst zu vermeiden suchte und vorallem vor sich selbst und seinen auserwählten Weiblichkeiten abstritt.
Und so tat er genau das, was er tun musste, um später siegesgewiss nach Hause zu gelangen. Er behielt die Schuhe und Hosen in dieser Situation an und wagte den ersten Schritt ins knöcheltiefe Nass hinein. Sein Herz tat dabei einen Satz nach vorn, als Lynn spürte, wie warm sich der Gewitterregen auf seiner Haut anfühlte.
Auch jubilierte er still vor sich hin, weil er sich daran erinnerte, dass er beziehungsweise Lisa während seiner und ihrer Kindertage nie in Regenpfützen herumgeobert waren. Denn dafür waren er und sie damals einfach viel zu ängstlich, vorsichtig und introvertiert gewesen. Und nun zählte er fast achtundvierzig Lenze und durfte das endlich auch einmal erleben.

Um ihn herum stöhnte und schimpfte das Volk. Doch Lynn war vergnügt und freute sich still darüber, dass es das Leben so gut mit ihm meinte und darüber, dass es überhaupt Leben hieß, was er da gerade erfahren durfte. Er amüsierte sich auch über das unbeschreibliche Gefühl, kleine Bassins oder Aquarien an den Füßen zu tragen und in den eigenen Schuhen mit den Füßen voran im Wasser davon zu schwimmen.

Dann er sprach zu der Frau in seinem Kopf, die den roten Punkt in ihren Händen hielt: „Schau, mir wachsen Schwimmflossen zwischen den Zehen. Ist das nicht drollig?“
Doch die Frau sagte nichts. Sie schwieg und formte aus dem roten Ton ihres Punktes einen alten Mann, der einen Hut auf seinem Haupt trug und einer Herde Schafe um sich herum beaufsichtigte.
„Es fehlen nur noch die Hütehunde“, dachte Lynn und sah plötzlich seine kleine Lisa inmitten der Schafe auftauchen. Sie schien zwischen den ganzen Vliesen aus Ton und Lehm zu baden. Dazumal das Gewitter von oben die Arbeit der Frau mit dem Ton in ihren nun roten Händen ständig ad absurdum führte, so dass es von außen betrachtet fast wie ein kunstvoller Animationsfilm im Zeitraffer-Effekt wirkte.

„Lisa, meine kleine Lisa“, dachte Lynn wehmütig. Sie hatte diese Frau mit dem großen Punkt in ihren nun roten Händen damals nur flüchtig gekannt, obwohl sie Arbeitskolleginnen gewesen waren. Und Lynn nahm just in diesem Augenblick war, dass die Hände der Frau zu bluten begannen.
Blutend ob der Erinnerungen. Blutig ob der vielen Arbeit mit dem Ton. Und Verletzt ob der Tatsache, dass damals niemand diese Welt aus Lehm und Ton und den Terrakotta-Figuren wahrgenommen hatte. Niemand. Bis auf die Frau selbst. Die Frau, die mit ihrem Punkt ganze Miniaturwelten erschuf. Die Frau, die Lisa damals von der ewigen Kämpferin erzählte und ihr schließlich einen roten Schwesterpunkt vermachte.

Lynn wurde blümerant zumute. Er erinnerte sich nicht gern daran, obwohl er die Figuren aus Ton sehr gemocht hatte. Damals, als er noch Lisa gewesen war. Damals, als er noch nicht gewusst hatte, wie man diese roten Punkte wieder auflösen konnte. Selbst heute noch war er sich darüber größten Teils im Unklaren.
Und er betrachtete versonnen seinen Traum von der Frau mit den geschickten Händen. Wie sie Figur um Figur aus Ton und Lehm modellierte und am Ende mit roter Farbe anmalte. Nur bis zum Brennen kam es in seinen Erinnerungen nie. Denn der Regen war im Prinzip immer schneller als ihre geschickten Hände.

Lynn lachte laut auf. Und er verspürte heute, so wie damals, die Hysterie in sich.
Er fühlte, wie sich die Farbe Rot in ihm ausbreitete und am Ende sah er nur noch rot um sich herum. Auch bemerkte er, dass seine Füße sich im glitschigen Schlamm aus Lehm und Ton bewegten. Sie quatschten umeinander und miteinander und verbandelten sich mit dem Handwerk der Frau von damals. Sie verhandelten mit ihr über die Liebe und die Trauer und die Wut und den ganzen Rest dieser Welt und wurden ebenso rot wie der Punkt der Frau, den sie in ihren Händen mit sich trug.

Und dann fuhr Lynn innerlich hoch. Er hatte sich erschreckt, war er doch auf der Toilette sitzend eingeschlafen und hätte dabei fast das Gleichgewicht verloren.
Über die Frau mit ihren Miniaturen von Terrakotta-Figuren und dem roten Punkt in ihren Händen dachte er jedoch noch lange nach. Das fand Anklang in ihm. Und er frage sich, was das alles wohl zu bedeuten hatte? …

© CRSK, LE, 07/2024

System

System

Kreatives Schreiben

System ist ein poethisches Fragment, dass im ersten Teil versucht zu versprachlichen, was mein nicht-binär-sein bedeuten kann. Das Beitragsbild zum Text erzählt dazu auch Bände. Gleichzeitig geht es aber auch auszugsweise um die neuerliche Begegnung zweier einander zugeneigter Herzensmenschen.

System

„Wenn Sie ihn oder sie sehen, so nehmen Sie ihn oder sie als eigenständige Wesenseinheiten oder gar alle beide zugleich als Gegenpolige Einzelkämpfer oder eventuell auch beide als ein und dieselbe Silhouette eines Fixsterns im Gestirn einer einzigen Person wahr.
Dabei können Sie ganze Wagenladungen an Pistazien in die Richtung dieses Menschen schnipsen. Sie würden sowieso nie-nicht alle Facetten in ihm oder gar an ihr treffen und schon gar nicht als Elfmeterschütze oder auch Elfmeterschützin in die Annalen dieser Grata-Gratissima eingehen.
Denn hier herrscht der Hagelsturm im Balance-Akt zum Fliegenschiss an der Mauer. Und die Lauer weiß sehr wohl, wo sie die Dauer findet, mit der sie lasziv kokettieren kann.
Und wenn Sie mal ehrlich sind, so ist das Yin des Yangs und der Gang des Ganges und der Gin des Dschinns viel langweiliger als die Korrektur der Balance einer auf der Spitze stehenden Pyramide.“

„Oder?“

So schrieb Lynn seiner Lisa ins Tagebuch, als er melancholisch an die Waldlichtungen in den Augen der Kundalini dachte, der er neulich die Hand gereicht hatte, um ihren zarten Flaum auf den Wangen mit seinen harten Handinnenflächen zu fühlen und die Weichheit ihrer Fingerbeeren auf dem Rücken seiner Hände zu spüren.
Nichts würde er korrigieren wollen. Mit den Ohren hatte er sie wieder gesehen. Und mit dem Kopfhaar wieder gehört. Und mit den Augen erneut geschmeckt. Und mit dem Munde oh zärtlich ihre Zuneigung im Labsal seiner Seele abermals gefühlt.

Doch nun wartete der purpurrote Siebenpunkt auf ihn, um ihm die Junikäfer von neulich ins Haupthaar zu setzen. Damit diese ihn gen Himmel in die Nacht von dannen trugen.
Und so realisierte er, wie wichtig ihm seine Systematik der lancierten Herzen(sdinge) war. Und wie sehr diese seiner Achtsamkeit bedurfte. Denn zu Zeiten war dieses System durchaus störanfällig und stand mit wankenden Beinen auf buttrigem Untergrund.

 

© CRSK, LE, 07/2024

 

Überfahren

Überfahren

Kreatives Schreiben

Überfahren ist ein Text in dem es um Bedürfnisse geht und um das Kommunizieren dieser. Ob wir uns „Brüllend“ durch unsere Welt bewegen oder ob wir leise uns fortbewegen, ist eine Frage nach der Kompetenz, zum eigenen Dasein zu stehen, sich dafür einzusetzen, dafür einzutreten und sich selbst dabei gut wahrzunehmen.

Überfahren

„Die Liebe brüllt nicht!“, fuhr Lynn fort.
„Ach???“, raunzte Lisa zurück. „Das hat sich letzte Woche aber ganz anders angefühlt.“, fuhr sie fort und machte dabei einen entzückenden Schmollmund. Sie stand mitten im Regen und sah dabei einem begossenen Pudel nicht ganz unähnlich.
„Ja!“, fuhr Lynn auf. „Nur dass uns der Dicke August mit seinem: ständigen ‚Hior Kolläische, gommä mol mid! Üsch zeesch dior mol, wo däro Hammor hängd!‘ nicht gemocht, geschweige denn nett behandelt hat.“
Lisa verschränkte ihre Unterarme vor ihrer unsymmetrischen Weiblichkeit
„Der Dicke kann nur ‚Hü und Hott‘ und sich minütlich nach den Winden der eigenen Ausdünstungen drehen, sonst nix“, fuhr Lynn fort, ohne zu bemerken, dass Lisa auf stur geschaltet hatte. „Haste das etwa letzten Donnerstag, als wir alle aufm Baugrund waren, nicht bemerkt?“
Lynn zog die Stirn kraus, schirmte seine Augen mit der Kapuze vor dem Regen ab und ließ seine Blicke wandern. „Schau sie dir an, diese längst vergessenen Glücksritter mit ihren Burgfräuleins. Wie sie hier überall im Windschatten der Wanderdünen aus lauter alten Gedöns herumstehen und auf das Halali der Lebensgeister warten. Glaubst du etwa im Ernst daran, dass die noch mal rauskommen? Ich meine so richtig rauskommen. Aus sich selbst. Aus ihren teilweisen verfahrenen Situationen. Und aus ihrem ganz eigenen Hinterposemuckel mit dem garantiert ganz persönlich integrierten Intermezzo.“, philosophierte Lynn im Schweigen von Lisa.
Und Lisa schaute Lynn einfach nur an, während sie wie früher als Kleinkind an ihrem rechten Daumen nuckelte und etwas überfordert dreinblickte.
„Was denn, was denn, was denn? … Glaubst du etwa wirklich noch immer an Haus, Hof, Auto, Hund sowie Kind und Kegel? Willst du so etwa glücklich werden?“, versuchte Lynn seiner Lisa unbeholfen mit Worten die Schulter zu tätscheln.
Und etwas später fuhr er dann noch fort: „Na, na, … bleiben wir mal lieber realistisch. Dieser Zug dürfte längst abgefahren sein.“
Und dann heulte sich Lisa innerlich die Seele aus dem Leib. Der Dicke August hatte sie wenigstens mit Worten hin- und her geschupst und sie verbal spüren lassen, was er von ihr hielt. Doch Lynns Ansagen hingegen waren ihr meist viel zu reflektiert und auch zu hochgestochen.
Justament wollte sie genau das, was sie laut Lynn nicht tun sollte. Nämlich Brüllen. Ihren Frust laut aus sich herausschreien und dem Dicken August mal ihre Meinung geigen. So sehr hatte er sie mit seiner harschen Art überfahren gehabt, dass sie an dem besagten Donnerstag schier vergessen hatte, ihm mit der charmanten Freundlichkeit einer absolut tiefenentspannten Unmöglichkeit zu begegnen. Und genau das bereute sie nun. Denn die Schlagfertigkeiten fielen ihr in solchen Situationen immer erst hinterher ein.
Sie fühlte sich klein und ungeliebt und hätte eben, wie gesagt, sehr gern die Liste ihrer absoluten Lieblings-No-Gos aus sich herausgebrüllt. Eben, damit Mann sie überhaupt erstmal ernsthaft wahrnahm und nicht nur für plont oder gar zahnlos hielt.
Und Lynn Loneley lächelte sie wissend an: „Du weißt doch noch: Wer herumschreit, ist meist im Unrecht, oder?“
„Du bist doof!“, maulte Lisa ihren Lynn an, kniff dabei die Augen zusammen, während sie ihre Hände wie kleine Fächer aufspreizte und damit ihre Ohrmuscheln verdeckte und Lynn am Ende dieser Scharade die Zunge rausstreckte. Denn sie fühlte sich schlichtweg überfordert von seiner Gewandtheit.

© CRKSK, LE, 07/2024

 

Never change a running System?

Never change a running System?

Kreatives Schreiben

Never change a running System ist ein Text, der von Routinen und Systemen zu erzählen weiß. Vom Alltag sozusagen und Gewohnheiten.

Never change a running System?

„Darauf eine Schokolade“, dachte Lynn Lonely und griff, als er endlich das Regal im Discounter gefunden hatte, entnervt zu. Ihm zitterten die Knie und er fühlte sich geschwind ein wenig wie das atemlose Espenlaub nach einem gehörigen Spätfrühlings- oder schon fast Frühsommersturm, der dieser Tage doch recht kühl und auch sehr nass ausgefallen war.
„Never solltest du a running System changen“, stellte Lynn verzweifelt fest. “Denn danach läuft erstmal nix mehr so rund, wie man es eben gewohnt war“, maulte er am Ende. Gefühlte Stunden eierte er schon orientierungslos in den Gängen des kompletten neu- und umgestalteten Supermarktes herum und fand am Ende doch immer nur das, wonach er eigentlich gar nie-nicht gesucht hatte.

Fast ganze zwei Stunden hatte er heute für den Wocheneinkauf in seiner Diskounter-Filiale gebraucht, und dabei war er schier verzweifelt gewesen. Denn nichts war mehr so, wie es im vorherigen alten Geschäft gewesen ist. Das brachte ihn so sehr aus der Fassung, dass er nur das Allernötigste für die neue Woche einkaufte und sich an der Kasse sogar darüber freuen konnte. Schließlich hatte er in der Woche davor, aufgrund der zeitlich temporären Schließung seiner altgewohnten Filiale, notgedrungen bei der viel teureren Konkurrenz einkaufen müssen. Und das war ihm um einiges teurer und irgendwie auch voluminöser gekommen als der heutige Jungferngang in den umgebauten Räumlichkeiten.

Lynn war noch immer ganz zittrig zumute, als er am Schreibtisch saß und die weiße Schokolade mit den ganzen Wahlnüssen aufriss. Justament wunderte er sich nicht darüber, dass es Wahlnüsse waren und keine normalen Wallnüsse oder gar Haselnüsse. Und obendrein noch ganze und keine gehackten. Denn er hatte doch immer eine Wahl, bevor er sich ins nächste Abenteuer des Lebens stürzte. Zumindest bildete er sich darauf etwas ein.

Die Wahl der Qual des neuen Webseiten-Designs zum Beispiel und der Entscheidung darüber, wo und wann da seine Prioritäten lagen, dieses Design für seine Bedürfnisse anzupassen und wann er das Ganze in die Tat umsetzen wollte.
Ebenso hatte er die Wahl darüber, was er jetzt sofort in seinem System anders manifestieren wollte oder gar neu und in welchem Umfang dies geschehen sollte und was dann auch bis nach dem baldigen Besuch seiner Freundin warten konnte.
Denn es musste nicht immer alles gleich und sofort geschehen. Das zumindest bläute sich Lynn Lonely beim raschen Verzehr dieser weißen Schokolade ein und ergötzte sich darüber, wieviel Zucker er schon wieder zu sich nahm, um seine angespannten Nerven zu beruhigen und sich in gewisser Weise auch zu belohnen.
In seiner Erinnerung klangen dabei auch die Worte seines Noch-Therapeuten an. Die da meinten, dass mit einem essenssüchtigen Verhalten oft auch ein sozialer Mangel einhergehen kann. Und das machte Lynn wiederum traurig, obwohl er sich bei all seinem Wörk-Wörk gar nicht einsam fühlte, auch wenn er so ziemlich allein lebte.

Schließlich hatte er tatsächlich immer die Wahl der Wahlen und politisch Wählen war er neulich auch. Wenn auch nur per Briefwahl. So wie immer. Das ließ er sich schon gar nicht nehmen. Das hielt er für seine Bürgerpflicht.

So wie er es sich ebenso zur gefühlten ersten Pflicht gemacht hatte, zumindest seinen Spaßdingen immer oder manchmal auch nur sehr oft ziemlich zeitnah zu folgen. Auch wenn dies gelegentlich bedeutete, mehr Chaos in seine gewohnten Trampelpfade zu bringen als vielleicht objektiv betrachtet nötig gewesen wäre.

Heute Morgen zum Beispiel geschehen. „Aber es sind ja auch noch gute drei Wochen hin bis zum Besuch meiner Freundin“, beruhigte sich Lynn Lonely und schrieb noch einen weiteren Text. Denn er hielt sich heute für mitteilungsfreudiger als gewöhnlich. Und normal war in den Augen andere Leute gelegentlich schon viel Sprech- oder auch Schreibdurchfall. Manchmal aber auch viel zu viel.

© CRSK, LE, 06/2024