Zur Taverne mit dem Mondlicht in der Laterne

Zur Taverne mit dem Mondlicht in der Laterne

Kreatives Schreiben

Der Text die Taverne mit der Laterne gewährt dem Leser einen spannenden Einblick hinter die Kulissen der Wichtel-Nordpol-Genossenschaft.

Zur Taverne mit dem Mondlicht in der Laterne

Es war Mitten im Oktober, irgendwann kurz vor dem abrupten Ende der Blütezeit des Neo-Kommunismus mittels endgültiger wirtschaftlicher Teilöffnung der Binnenmärkte für den Überseehandel mit dem südlichen Hemisphären-Staaten des Neo-Kapitalismus der Erde 2.0.
Es dauerte noch einige Jahre, bis der vierte Weltkrieg ausbrechen würde. Aber das kommerzielle Auf- und Wettrüsten zwischen den kulturellen Filterblasen hatte längst begonnen.

Die Nordpolgenossenschaft der Wichtel des wiederauflebenden Jul-Kultes der Vorfahren der alten nordischen Völker stand aufgrund des menschengemachten Kommerz-Terrors zunehmend unter dem Hochdruck gewisser personeller, aber auch infrastruktureller Produktionsengpässe. Niemand außer deren Chefetage hatte die Entscheidungsgewalt darüber gehabt, dem nachhaltig Abhilfe verschaffen zu können. Doch aus unerfindlichen Gründen schien diese Chefetage, wie sie nebulös vom allgemeinen Wichtelvolk genannt wurde, sich für handlungsunfähig zu halten.
Der allgemeine Wichtel-Mob vermutete, dass die Nostalgiesucht, der längst vergangenen alten Zeiten des früheren sozialistischen Realismus wegen, schuld daran war. Doch definitiv wissen, tat das an der Basis niemand und darüber zu sprechen, war von den linientreusten neuen Politischen, die der Chefetage besonders nahestanden, unter Strafverfolgung der Plaudersüchtigen offiziell verboten worden.

Und so nahm die Geschichte an einem Dienstagabend in der zeitlosen Stimmung der letzten goldenen Herbsttage im Oktober des hohen Nordens ihren Lauf. Und Väterchen Frost ließ in den Nachtstunden dieser Tage auch schon erste Vorboten des nahen Winters vorauseilen:

„Eyh, Breschnew, Alter …“, grunzte der stämmige Chruschtschow und wischte sich mit seinem muskulösen Handrücken über den Dreitagebart. Doch sein Sitznachbar schnarchte nur laut in die Zipfelmütze hinein, die ihm ins Gesicht gerutscht war, während er mit dem Oberkörper auf der Tischplatte lag.
Der Schankwirt schlurfte herüber und murmelte: „Die Chefetage treibts aber auch gerade echt hart mit euch allen und insbesondere mit euch beiden aus der Mannschaft der Werkstätten. Da iss so gar nix mehr übrig von den früher skandierten Werten, finde ich.“
Chruschtschow blickte auf. Seine Augen wirkten klein, so zugeschwollen wie sie waren, und rote Äderchen überzogen die Augäpfel. Seine Zipfelmütze hing ihm nur noch auf halb acht auf dem kahlen Kopf. Sie muss einmal strahlend rot gewesen sein. Doch diesen Zustand hatte sie schon lange hinter sich gelassen.
„Willste mich verarschn? Werte? Welche Werte denn?“, fuhr er den Wirt lautstark an.
Der Schankwirt zuckte mit den schmalen Schultern, strich sich mit den langgliedrigen Fingern das fettige Haar aus der Stirn und schielte zur Laterne hinauf, die an dem zentralen Deckenbalken der Taverne hing und den Hauptraum in fahles Mondlicht tauchte.
„Naja …“, räusperte er sich, „Ich habe mal daran geglaubt, dass ihr vor dem Herrn alle gleich wärt und uns, äh … euch allen alles gemeinsam gehören würde und ihr euch dafür nicht zu Tode schuften müsstet“.
Chruschtschow grunzte erneut. Dieses Mal um einiges lauter und es schien so, als ob er dabei eine Träne im linken Augenwinkel verdrücken würde. „Das Papier, auf dem sie diese Statuten und deren Pläne ursprünglich geschrieben haben und diese nun seit ungezählten Zeiten alle fünf Jahre wieder beteuernd neu aufsetzen, ist geduldig.“
Und einige Augenblicke später wischte er sich erneut mit dem Handrücken über sein unrasiertes, kantiges Gesicht. „Ich habe Durst. Bring mir noch einen Humpen von deinem Kräuter-Met! Vielleicht sehe ich dann die Zukunft rosiger und einen Sinn in dem, dass wir tagaus und tagein in den Werkstätten der Chefetage schuften …“

Als der Schankwirt mit dem neuen Humpen Met vor seinem Tisch zum Stehen kam, blickte Breschnew verschlafen hoch und murmelte: „Scheiß Sucht nach dem schnöden Mammon! Die Menschen sind einfach nur dumm! Und die alljährlich wiederkehrende Konsumschlacht bringt uns Wichtel an den Rand der möglichen Taktung unseres schier unendlichen Pensums an Fließbandarbeit.“
Chruschtschow verzog seine Miene. Er war sauer: „So viel können wir gar nicht mit unseren Weibern und denen der anderen rammeln, wie es nötig wäre, um genügend Nachwuchs für die noch kommenden Jahrhunderte der Maloche in den Werkstätten heranzuziehen. Dabei bräuchten wir dringend handfeste Verstärkung. In allen Lebenslagen und Bereichen, was die Werkstattarbeit und aber auch das Wirken am heimischen Herd und in den Stallungen der Familie Rudolph angeht.“

Der Schankwirt lachte höhnisch: „Ach ja, die Rudolphs … Habt ihr schon die neusten Gerüchte gehört? Die über Rudolph Junior Nummer Neunundsechzig?“
Breschnew grölte und verteilte dabei eine ordentliche Portion Spucke über den Tisch: „Jawoll-Ja. Der soll, wie ich von meiner Olga erst gestern vernommen habe, ein ganz umtriebiger sein … Ja, ja.“
Dabei grinste Breschnew breit und war plötzlich wieder hell wach. Auch er hatte zugeschwollene, rotgeäderte Augen und sein Allgemeinzustand verhieß eine permanente Überarbeitung in Verbindung mit einem chronischen Schlafmangel.
„Der pfeift der Minna auf ihrem letzten Loch den Marsch der Unzucht mit seinem Decker, hat mir die Olga gestern beim Stelldichein ins Ohr geflüstert“, fuhr Breschnew mit gesenkter Stimmlage fort und wischte sich mit seiner schwieligen Hand über das zerfurchte Gesicht. „Und ich kann euch sagen, meiner Olga scheint allein die Vorstellung davon schon irgendwo gefallen zu haben??!!“, fuhr er fort und rutschte dabei unruhig mit seinem muskulösen Hintern auf der Holzbank hin und her.
„Ich fall‘ vom Glauben ab!“, stöhnte Chruschtschow, nahm einen kräftigen Schluck aus seinem Humpen voller Kräuter-Met. Dabei verschluckte er sich und bekam davon einen ordentlichen Hustenanfall, so dass Breschnew ihm mit seiner grobschlächtigen Hand zwischen die Schulterplätter klopfte.
„Joahr, ich übrigens auch. Meine Olga die überrascht mich da immer wieder. Das kann ich dir sagen … Aber eigentlich iss datt nix für mich. Ich bin da eher konservativ und altmodisch gestrickt und brauche, was das angeht, auch keine fremden Betten und Federn.“

Dann läutete die Turmglocke am großen Weiher Sturm.
Der Schankwirt räusperte sich: „Oh-oh! Eure Pause ist schon zu Ende. Ihr müsst wieder an die Arbeit gehen! Sonst bekommen die Politischen noch Wind davon und ihr dürft wieder zusätzliche Strafpunkte abarbeiten.“
„Diese neuen Emporkömmlinge? Also echt mal …“, schnobte Breschnew wütend auf, obwohl er es aus leidlicher Erfahrung besser wissen müsste.
„Ja, ich weiß, die sind alle nur um die dreihundert Jahre jung und im Vergleich zu uns beiden noch echte Grashüpfer in der Wichtellandschaft. Nur leider haben die, im Gegensatz zu uns, einen guten Draht zur obersten Chefetage und wer weiß, was die denen flüstern würden, wenn sie mehr Wind von unseren kleinen Aufmüpfigkeiten bekämen? Wenn sie es nicht eh schon längst alles wissen und uns deshalb die vielen Extraschichten an Arbeit aufbrummen …“, entgegnete ihm Chruschtschow leise. Dann wuchtete er mühevoll sein Hinterteil von der Bank hoch.

Noch bevor er und Breschnew mit einigem Getöse die Schenke verlassen konnte, legte der Schankwirt ihnen beiden im Vertrauen jeweils eine seiner schmierigen Hände auf ihre Schulter: „Habt ihr eigentlich je die von der Chefetage zu Gesicht bekommen? Also ich meine so ganz persönlich von Angesicht zu Angesicht? Ihr zwei gehört doch längst zum Inventar der Nordpol-Genossenschaft, so alt wie ihr beide schon seid. Oder?“
Chruschtschow wieherte leise los: „Mit Freuden würde ich vom Unglauben abfallen und Breschnew zur Strafe von hinten mit meiner Rute nehmen und dabei auch noch Lust empfinden, wenn ich daran zweifeln täte, dass in der besagten Chefetage nur deshalb ein noch viel betagterer, seniler Rauschebart sitzt, weil die Menschen selbst ihn mit ihrer alljährlichen Zelebration und deren Ritualen drumherum zu dem gemacht haben, was er bis heute ist und das Wichteltum, mit all dem Schaffen Kraft ihrer Vorstellung kreiert haben. Genau deshalb malochen wir uns ja am Ende noch zu Tode und genau deshalb werden unsere Wünsche nach einer sozialgerechten Wichtelgewerkschaft wohl nie erfüllt werden.“
„Aber Psssst … haltet bloß eure Klappen! Sonst muss ich am Ende noch zur Strafe bis in alle Ewigkeit den Abort des Alten putzen.“

Der Schankwirt lachte laut auf und klopfte seinem Schankgast extra stark auf die Schulter, während er hinter dem Rücken der beiden sehr offenherzigen Kompagnons zur Laterne hinauf schielte, die am Deckenbalken seiner Schankstube hing. Verwaschen murmelte er: „Ach, wenn es doch nur die Jungspunde wären …“

Und als er schließlich die Türen der Taverne hinter den beiden ältesten Wichteln des Nordpols schloss, kletterte ein Winzling von einem Mann eifrig aus der Laterne unter dem Deckenbalken und morste mit seinem Mondlicht eine eilige Depeche gen neunzigsten Breitengrad des Nordpolreiches, um sich seine Prämie und die Verlängerung der Ausschanklizenz seines Herbergsvaters um mindestens ein weiteres Jahrhundert bei der oberen Chefetage zu sichern.
„Hervorragende Arbeit, mein Großer!“ quickte er mit seiner hohen Stimme zum Schankwirt herüber. „Wir müssen mit dem Takt der Menschenzeit gehen. Sonst landen wir am Ende noch alle am Südpol bei den Pängus. Und wenn dann der Alte gänzlich senil wird, weil sich der Glauben der Menschheit an uns nach und nach überholt hat und sie unserer irgendwann überdrüssig werden, na dann Prost Mahlzeit! …“

 

Nachwort:

Es ist der Dreizehnte, acht Tage vor dem ehemaligen Julfest der nördlichsten Völker der nördlichen Hemisphäre, im Jahre Siebenundsiebzig des dritten Jahrtausens des ehemaligen Gottvaters der frühen Christenheit. Ich, der zu jener Zeit älteste unter den Wichteln meiner Generation sitze hier im Exil des Vergessens.
Von der ehemaligen Chefetage der Nordpolgenossenschaft in die Hemisphäre des Südpols verbannt, existiere ich nur noch als Schatten meiner selbst zusammen mit den wenigen übrig gebliebenen Pängus im Auffanglager der sich überlebten und insgesamt ad acta gelegten Sagen- und Mythen- sowie Märchen- und Fantasiegestalten.

Und nun sitze ich, der früher Chruschtschow genannt wurde – ein längst verwitweter Wichtel – hier in meiner Filterblase inmitten des Auffanglagers und schreibe an meinen Memoiren. In der Hoffnung, ein Mensch möge diese irgendwann finden, um mit ihrer Hilfe das wahre sich Erinnern wieder zu erlernen, um so vielleicht erneut einen Funken der Hoffnung unter die Reste der Menschheit sähen zu können.

Denn die letzte Heißperiode dieser Welt dauert noch immer an. Die Erde ist mit den verflossenen Jahrhunderten in extreme Zustände geraten, und die Menschheit hat sich dabei fast selbst ausgerottet. Wirtschaftsordnungen wie der Kapitalismus oder der Kommunismus und der Sozialismus haben sich überholt, so auch ihre damals verzweifelt angegangen Versuche der Neo-Wiedergeburten.
Es gibt keine Staatenstrukturen mehr und auch keine Demokratien oder gar Diktaturen und Monarchien.

Die wenigen noch übrig gebliebenen Menschen haben sich ihrer Urwurzeln besonnen und pflegen entweder nur noch kleine, untereinander zersiedelte Sippschaften oder ziehen als kriegerische Horden durch die Einöden dieser Welt.
Den alten Religionen haben sie mit der endlosen Reihe an vergangenen Jahrhunderten nacheinander abgeschworen. Und deren Götter haben sie längst vergessen.
Inzwischen glauben sie nur noch an die ehemaligen Glanzzeiten der vor sich hin rottenden Relikte einer ehemals hochtechnisierten Welt. Denn es geht im verwaisten Volksmund die Mär um, dass man diese Relikte zum Leben erwecken könnte, wenn man gewisse kryptische Symbole an den verwitternden Mauern zu Alt-York irgendwo auf einem der Nordkontinente entschlüsseln und die verlorengegangenen Aggregate wiederentdecken würde, um sie dann irgendwie erneut zum Leben zu erwecken.
Doch nur vereinzelte Ur-Ur-Ur-Ur-…-Urahnen der ehemaligen Ingenieure von damals glaubten noch ernsthaft an diese Mär und hüteten ihre indifferenten Vorausahnungen vom Wissen zu dieser Sache wie einen geheimen Gral vor der Allgemeinheit der Sippen und Horden. 

Ich selbst, Chruschtschow, weiß auch nur darüber Bescheid, weil ich mich jedes Jahr zum Julfest nachts aus dem besagten Auffanglager schleiche und die alte Tradition meiner ehemaligen Chefetage wieder aufleben lasse. Dann suche ich heimlich die nahegelegenen Lagerfeuer der vereinzelten Horden sowie die verfallen Kamine der alten Siedlungen, in denen die wenigen Sippschaften wieder hausen, heim und schaue den Ur-Ur-Ur-Ur-…-Urahnen beim Schlafen zu und höre ihre Träume.

 

© CRSK, LE, 10/2024

„Du Oarsch!

„Du Oarsch!

Kreatives Schreiben

Du Oarsch! ist ein emotionaler Text über psychische Nöte und Krisen. Lisa ist sauer und Lynn ist durch den Wind.

Kreatives Schreiben

Die Vertonung von Come on.

„Du Oarsch!

Du saubleeder Saupreiß due! Dia woasch i die Oahrwoaschln mit Chili und Knofi, wenn du dir noch oan Schritt vors Brett woagst! Des soag i diar und geb diar Brief und Siegel draaf. Du Depp!“, schimpfte Lisa lauthals mit sich selbst und knallte dabei mehrfach ihre immer wieder aufflammende Wut gegen Wände, Türen und Fenster des Hauses.
Nichts, aber auch wirklich gar nichts hatte sie dazu bewegen können, noch einmal ruhig auszuharren und die drohend befürchtete Misere auch weiterhin geduldig abzuwarten. Denn sie hatte die Nase im wahrsten Sinne des Wortes vor lauter Verschnupfung und Verkopfung gestrichen voll.
Seit Tagen schon träumte sie vom Bau der drohenden Klagemauer in Lynns Wahlheimatstadt und bekam schließlich gestern Morgen in aller herrgottsfrühe die fette Schlagzeile darüber brühwarm von ihrem und Lynns Händie serviert.
Die Klagemauer über ihre ewige Farce mit der gefühlten Endloswarterei auf Godot. Auf den Augenblick, der ihr sagen würde: Ja, es ist alles gut. Oder: Ja, es wird alles gut. Oder: Ja, es wird alles gut und wenn es noch nicht gut ist, dann ist es noch nicht das Ende. Oder what ever for positive Thinking in dieser diesjährig nasskalten Weihnachtszeit.
Sie schlug mit der flachen Hand auf Lynns Küchentisch und brüllte: „Ich hob die Schnauzn voll! Miar egal, ob i heit oder moargn oder übermoargn Post bekomme. I mog nimma! I mog miar nimma den Oarsch aufreißn, damit am Ende irgndwer an mi denkt oda au ned.“

Lynn schluckte und knetete sich nervös die Hände. Er wusste um den Frust seiner Lisa und konnte die Heftigkeit darüber recht gut nachvollziehen. Schließlich ist er erst kürzlich selbst mit den Unwegsamkeiten seiner und ihrer Psyche Schlitten gefahren, als er im Norden unterwegs gewesen war, um die Unterlagen für seine weiteren Schritte der Transition zusammenzusammeln.  
Da war es ihm wie ein zwischenzeitlicher Serverausfall seinerseits vorgekommen, als ihm seine insgesamt überspannte Wahrnehmung plötzlich seine alten Urängste von damals suggerierte und ihm vorgaukelte, wieder im Wahn gefangen zu sein. Im Wahn darüber, nicht geliebt und verlacht zu werden, es verkackt zu haben und vertrackt zu sein. Im Wahn darüber, nicht akzeptiert und toleriert zu werden. Im Wahn, Angst vor der Angst haben zu müssen. Und im Wahn, sich nicht im Leben zurechtzufinden und gänzlich allein damit zu sein, keine Freunde zu haben und niemanden, der an seinem Leid teilhaben wollte. Und auch im Wahn darüber, alles falsch gemacht zu haben in seinem bisherigen Leben.

Lynns Puls galoppierte ihm davon, wenn er daran dachte, dass er auf dieser Reise den Teufel in sich gefühlt hatte, wie er ihm Hörner aufgesetzt, den Pferdefuß angezogen und den Rattenschwanz an Zweifeln hinter ihm hergezogen hatte, um ihn durch die Altstadt zu treiben und den Jüngern seiner Vergangenheit als hoffnungslosen Narr vorzuführen.
So sah er sich wieder und wieder rücklings auf der Spielzeugbahn des Christkindlmarktes vor Ort sitzen und nackt in der Seele quer über den Festplatz rattern. Damit auch ja niemand auf die Idee kommen könnte, ihn ernst zu nehmen in seiner Wahnhaftigkeit vom Heiland der milden Gaben, an denen man sich laben konnte, wenns einem Mal frierte und man das Leid des Zweifels gebierte.

Enttäuscht über sich selbst schloss Lynn schließlich die Augen und griff nach der Hand seiner Lisa. „Komm! Lass uns verschwinden und verwinden das Leid dieser Tage! Lass uns das Kämmerlein im geschmerzten Herzen verbinden und lass uns winden die Wunden mit bunter Farbe, so dass wir zumindest innen fröhlich sind.

© CRSK, Le, 12/2024

Come on

Come on

Kreatives Schreiben

Come on ist ein eher essayistischer Text, der sich die Frage stellt, wie düster die eigene Vergangenheit daherkommen kann und wie düster wir sie dann tatsächlich wahrnehmen beziehungsweise wie düster wir sie für andere auch darstellen. Ja okay, klingt ketzerisch. Evtl. … ^^ Aber Vergangenheit ist doch am Ende auch das, was wir (in Zukunft) daraus machen. Wie wir leben wollen. Was wir bewegen wollen. Wir sind nicht Gestern! Wir sind auch nicht morgen! Nein, wir sind heute!

Kreatives Schreiben

Die Vertonung von Come on.

Come on

„Wer sagt eigentlich, dass die Vergangenheit generell tatsächlich blöd ist, nur weil man mit ihr vielleicht gerade mal nicht klarkommt?
Nur weil sie einem justament die Schuhe verkehrtherum angezogen hat, damit Mensch vielleicht besser rückwärts anstatt vorwärtslaufen kann, um sich rückblickend die Augen aus dem Kopf zu weinen, weil X, Y, Z sich damals über dieses, jenes, sell oder über Bell mit A ungünstig geäußert hat und einige Zicke-Men-Tucken desderwegen veranstaltet hat?“

Mir geht die Puste aus, und ich muss Luft holen.

„Au … und leider ja.“
„Zicke-Män-Ficken haben die damals wirklich angestellt. Oder eher Pisse-Men-Schrullen?“
Das ist mir nicht mehr so genau erinnerlich geblieben. Oder vielmehr erinnere ich mich Null-Komma-gar-nicht daran. Aber egal. Ich bin dafür einfach noch zu grün hinter den Ohren gewesen. Damals als ich noch an den Märchenprinzen geglaubt habe. Denjenigen, der mich dann auf seinem weißen Ross mit sich fortführen sollte und es schließlich doch nicht getan hat, …

„Aber eins weiß ich heute schon. Das Rad der Zeit ist nicht der Rat der Zeit, und dennoch weint mein Regenbogen salzige Wassertropfen, wenn er den Schotter der Straße gen Freiheit überspannt, um mich auf meinem Weg zu geleiten. Wohin auch immer ich eben gehen will.“
„Jahahahaaaaa, mein Dornröschen hatte es damals schon schwer, will ich meinen, weil eine Erbse nicht für immer die Allround-Wohlfühl-Matratze schlechthin bedeuten kann. Denn irgendwann drückts halt schon. Da kann Mensch sich noch so gut mit Bequemlichkeiten einrichten und abfedern und pudern und pämpern. Irgendwann drückt es doch die kleinste Kleinigkeit durch. Da hilft dann selbst die beste High-end-Post-Mortem-Lagerung nicht mehr.
Das kann ich hiermit im Schweiße meines Angesichtes mit dem Blut meiner bisherigen Lebensstrapazen bestätigen. Denn ich bin längst keine Prinzessin mehr und ein Prinz von und zu wollte ich im Leben nicht werden …“

Aber was sage ich, ich sehe mich, dir die Sternlein vom Himmel holen und denke noch: „Verdammt, was das nun wieder werden wird mit meinem armen, hohlen Kreuz? Denn dir zum Kreuze kriechen, weil mich die Hexe geschossen hat, mag ich am Ende auch nicht.“
Und dann schlägt die Demut zu und lässt mich erbeben im Feuer meines Flammenfrusts. Denn in mir ruht der Drache meiner Lebenslust, und ich will fliegen und fliegen über Stock und Stein und Himmel und Erde und Hölle, nur damit ich keinen leeren rechten Platz mein Eigen nennen muss und die hoffnungsvoll Angebetete keine hoffnungslos Angebetete mehr bleiben wird.

Und dann erleide ich schon wieder eine Atemnot und japse wie ein alter Mann nach Luft.
„Scheiße aber auch, die Erkenntnis-Bandwurm-Sätze sind wieder mal lang und atemraubend schwer zu verdauen …“

Ich muss lachen, denn auf meiner bröckeligen Mauer sitz die kleine Wanze und lauert auf eine gute Gelegenheit, mir was zu husten. Doch den Gefallen kann und werde ich ihr noch nicht tun, denn just in diesem Augenblicke sehe ich meine Raupe Nimmersatt. Und schlau, wie ich nun heute bin, lasse ich sie ziehen. Denn sie ist der Schmetterling von morgen.
Und so summe ich das „So-long kleine Nimmersatt“ vor mich hin.
„Auf dann, bis bald, mein zukünftiger Schmetterphant. Noch bist du voll haarig und monströs im Fressverhalten. Doch bald gewandest du dich schillernd bunt graziös und bist dann der Bote des Paradieses auf Erden.“

So fläze ich mich in diesen späten Altweibersommertagen tief in meinen Ohrensessel hinein und zähle die Weben meiner Hausspinnen auf meiner Terrasse. Doch bald ist auch dies wohl wieder vorbei und dann ist das Chaos meiner Liebe nicht mehr fern.
Dann bade ich wieder in den Lichtungen ihrer Wälder und hole ihr gern, wie sollte es auch anders sein, die Sternlein vom Firmament herab. Egal ob mich dann die Hexe plagt oder mir die Maus die löchrigen Socken klaut. Eben weil ich dann Gewähr bei Fuß stehe für das emotionale Stelldichein mit meinem Leben.

 

© CRSK, LE, 10/2024

Send me your Love my Darling

Send me your Love my Darling

Kreatives Schreiben

Send me your Love, my Darling ist ein Text, der etwas düster daher kommt und indem es um das Phänomen Zeit geht. Mal vergeht sie rasendschnell und mal quälend langsam. Und immer wird sie als subjektiv empfunden, wenn man über sie spricht.

Send me your Love my Darling

„Tick-Tack, die Zeit läuft“, sprach der Waldläuf und schaute Lynn verschmitzt an. Während die schwarzen Pupillen seiner Augen unaufhörlich wie zwei Pendel hin und her schwangen oder vielmehr wackelten und den Zeitbetrachter dabei ganz schwindelig machten.
Lynn blickte verdutzt drein. Ihm fehlten gefühlte Stunden seines Bewusstseins, als er auf die ihm fremde Ruhla-Uhr schaute, die ihm wohl irgendwer um sein linkes Handgelenk gebunden haben musste, während er weggetreten war.
Das letzte, woran er sich noch erinnern mochte, war die Tatsache, dass er sich vergangene Nacht nach getaner Arbeit spontan auf den Weg eines spätsommerlichen Spaziergangs gemacht hatte, um sich runterzuholen vom hektischen Lauf der Zeit und sich danach vielleicht noch – des entspannteren Einschlafen wegens – zu Hause leiblich und seelisch sowie moralisch lustvoll zu befriedigen.
Doch alles, was vor seinem Zusammentreffen mit dem Waldläuf war und nach seinem Logout aus dem Zeiterfassungssystem in der Firma, lag verschwommen im Nebel seiner Wahrnehmung.

Er musste Stunden ziellos durch die gewitterschwangere Sommernacht gelaufen sein, bevor er in die Nähe seines Zuhauses gekommen war. Stunden, damit jeder einzelne Schmerz der Arbeit mit jedem Schritt mehr und mehr von ihm abfallen konnte. Jeder Druck. Jedes eilige Abgehetzt-Sein. Und jede Not. Stunden, um sich wiederzufinden im Sein.
Stunden, um sich wieder langsam ins erschöpfte Wohlbefinden einzutakten und die Maloche des Förderbandes der Zielvorgaben hinter sich zu lassen.
Gefühlte Stunden, die er nicht gezählt hatte und die ihm nicht mehr erinnerlich präsent waren. Bis zu dem Zeitpunkt nicht mehr präsent, als er auf den Waldläuf getroffen war. Und das mitten in der Stadt?! Unmittelbar in seinem Kiez. Wo er sonst mit sich allein im Café eine Macha-Latte trinken ging, wenn er sich etwas gönnen wollte.

Und nun stand er völlig verdattert dem Waldläuf gegenüber und betrachtete fasziniert dessen klapprigen Drahtesel. Dessen Einrad-Fahrgestell war nämlich mit farbenfrohem Garn umhäkelt, und lauter bunte Franzen waren an die Felge des Rades geklebt und umwoben deren Speichen.
Während der Waldläuf das Einrad aus dem Stand heraus balancierte, grinste sein roter Mund sehr breit und zeigte dabei seine makellosen Zähne.
„Tick-Tack, die Zeit läuft“ sprach er noch einmal zu Lynn. Nur dieses Mal tat er es mit einer Patronenhülse zwischen den Zähnen. Woher diese so urplötzlich aufgetaucht war, konnte Lynn nicht mit Bestimmtheit sagen. Doch ihm wurde sehr mulmig dabei zu mute.
„Du hast da was für mich“, fuhr der Waldläuf fort und wies dabei um sich herum auf die überall mit schwarzen Tüchern verhangenen Schaufenster der Straße.
Das war Lynn vorher gar nicht aufgefallen und er spürte in diesem Wissen, wie trocken seine Mundhöhle mit einem Male geworden war. Er wollte dem Waldläuf etwas entgegnen, doch er hörte nur das ausgedörrte Hüsteln seiner Kehle.

„Ich will die Briefe deines Herzens und die Postkarten, die von deinem Leben erzählen. Alle! Auch die, die du noch gar nicht geschrieben hast“, fuhr der Waldläuf fort.

Lynn schluckte. Damit hatte er nicht gerechnet, als er völlig ausgepowert das Werksgelände verlassen hatte, um sich eigentlich auf dem direkten Wege nach Hause zu begeben.
Und nun stand er einem verwitterten Clown gegenüber, der eher an ein vertrocknetes Hutzelmännchen – mit Lumpen um den Leib gewickelt – erinnerte, als an ein stattliches und farbenfrohes Geschöpf der Großstadt-Zirkus-Welt.

Mit zittriger Stimme fragte Lynn schließlich: „Warum nennt man dich eigentlich den Waldläuf?“
Doch der Waldläuf ging überhaupt nicht darauf ein, sondern beugte sich von seinem Einrad herunter, um Lynn direkt in die Augen zu schauen. Seine Stimme klang wie der verwitterte Deckel eines Sarges, als er schlussendlich weitersprach: „Send me you! Send me your Love, my Darling!“

„Und alles, was ich für ein Stoßgebet gen Himmel benötige“, fügte Lynn flüsternd hinzu, bevor ihn der Waldläuf mit Haut und Haar verschlang und die Lippen seines inzwischen rot verschmierten Mundes die leere Patronenhülse aufs nasse Kopfsteinpflaster spuckten.
Der Parkwächter würde sie bei seinem nächsten Rundgang zur vollen Stunde finden und sich darüber wundern, warum jemand mittels diverser Punzen das Wort Freiheit in den Boden der Hülse graviert hatte.

 

 © CRSK, LE, 09/2024

Es passiert dich

Es passiert dich

Kreatives Schreiben

Es passiert dich ist ein Text, der dem Leser vor Augen führt, dass einem diverse Dinge im Leben passieren können beziehungsweise diese durch einen hindurch passieren können, wenn wir uns dafür durchlässig halten und am Ende nicht Be-werten – egal of Ab- oder Au- ….

Es passiert dich

„Ich weiß“, überlegte Lynn Lonely laut vor sich hin, als er sein durchgeschwitztes Schlaf-Shirt im Bad auswrang und sich danach mit einem flüchtigen Blick in den Spiegel begutachtete.
„Ich nenne sie heute die ‚Tussi ohne Namen‘“, sprach er weiter mit sich selbst und wischte sich dabei den Schweißfilm von der Stirn. „Es ist mein ganz spezieller Geheimname für sie“, fuhr Lynn mit belegter Stimme und kraus gezogener Stirn fort, „denn er erinnert mich daran, dass das Grauen, was damals von ihr ausging, gleich meine gestrige Gräulichkeit bedeutete und meine heutige Schatten-Erinnerung an sie ausmacht.“

Lynn stand inzwischen vor dem Flurgarderobenspiegel und erblickte darin seine abgehetzte Lisa, wie sie in seinen Kindertagen über den Berg hinweg nach Hause davonrannte, weil ihr der Klassentrietz der Tussi und deren Schergen drohte und niemand ihr beigebracht hatte, wie sie denen die Stirn bieten konnte, um ihnen das Nein ihrer Wohlfühlzone um die Ohren zu hauen und deren Überschreitungen durch andere konsequent entgegen zu treten.

Und nun musste Lynn mit ansehen, wie die ‚Tussi ohne Namen‘ im Rahmen seines Spiegelbildes trotz allem seine Lisa im Kreise ihrer Fans zur Schnecke machte. Justament fühlte er sich mittendrin und konnte dennoch nicht für seine Widersacher fühl- und hörbar sein eigenes „Nein“ und das seiner Lisa verteidigen, obwohl Lisa es ihm gefühlte einhundert-und-eintausend Mal wortlos zugeflüstert und mit längst verdunsteten Tränen in seine Seele geschrieben hatte.

Stumm stand Lynn vor dem Spiegel und schleuderte den Widersachern seines vergangenen Ichs die Gegenwehr entgegen, die Lisa damals nicht aufbringen konnte. Seine Seele fühlte sich davon schon ganz fusselig an. Doch gehört wurde er von dieser ‚Tussi‘ und deren Schergen nicht und das machte ihn wiederum restlos faserig.
Faserig vor lauter Ohnmacht. Faserig vor lauter Wut und Hilflosigkeit. Faserig vor lauter Trauer.
Trauer darüber, dass niemand ihn hörte und seine „Neins“ wahrnahm und das obwohl er sich gefühlt schon wortlos und heißer geschrien hatte. So gänzlich ohne Argumente seines sonst regen Redeflusses. Und das machte ihn verzweifelt.

Verzweifelt auch, weil er den Ausgang nicht fand.
„Es passiert mir wieder“, sprach er. „Denn es fühlt sich so wie damals an und rührt die alten Wunden auf.“
„Dabei braucht es dich nur passieren“, flüsterte ihm Lisa aus dem Spiegel zu. „Und du schaust dann, was dabei mit dir geschieht oder eben auch nicht geschieht. Wenn möglich, ohne Be-Wertungen deinerseits.“
Verdutzt blickte Lynn auf und hörte das Piepen des Weckers, als dessen Alarm losschrillte.

 

© CRSK, Le, 09/2024