
Schmesme war eine in die Jahre gekommene Zahnfee, die alljährlich nachts die Träumenden heimsuchte, um sich ihrer faulen Zähne zu bemächtigen. Dabei wollte sie es immer tunlichst vermeiden, von ihren jüngeren Kolleginnen aufs Altenteil abgeschoben zu werden.
Doch seit heute Nacht war sie sehr zahnlos. Denn sie hatte sich bei einer ihrer windigen mediterranen Aktionen auf dem Felsen von Gibraltar ihren letzten Zahn ausgebissen. Und nun war sie gänzlich nicht mehr im Stande, sich um die Faulitäten anderer Leute zu kümmern, damit sie ihnen diese mit ihrer Zähnekraft des Feendaseins rauben konnte.
Das fand Schmesme jammerschade und begab sich desderwegen in die Obhut des weltgrößten Rangiermeisters. Seinerzeit Besitzer des Güterbahnhofs Haschen bei Schmelzburg im schönen Schmuhgunden. Inzwischen behauste er eins der ehemaligen Bahnwärterhäuschen im Außenbezirk von Haschen und schwelgte in seinen Erinnerungen an die noch analogen Zeiten.
Von dieser Nacht an würde Schmesme nun jede Nacht mit dem ebenso ausrangierten Besitzer von damals auf den weitläufigen Dächern von Haschen hocken, um mit ihm zusammen das inzwischen gänzlich digitalisierte und vollautomatische Treiben auf dem weitläufigen Gelände des Güterbahnhofs zu kommentieren. Denn allnächtlich gab es dort viel zu sehen. Ganze Wagenladungen voller ausgerissener und ausgebissener Zähne. Jeglicher Couleur aus aller Herren Länder.
Und Schmesme spürte das ihr bald vertraute Fernweh in jeder Faser ihrer inzwischen schrumpeligen und altersschwachen Flügel. Sie beamte sich via Gedankenflugverkehr in die fernen und nahen Länder ihrer Welt, um herauszufinden, welcher findige Feenzahntechniker ihr eine diamantene Vollprothese austüfteln könnte. Denn noch hatte sie sich mit ihrem Altenteil nicht zufriedengegeben, wusste sie doch, was ihr blühen könnte, wenn sie dauerhaft von den milden Gaben ihrer jüngeren Zahnfeekolleginnen abhängig sein würde.
Justament nuckelte sie widerwillig an ihrer schon jetzt gehassten Lieblingsflasche. Sie war mit der Milch aus den gekochten und am Ende zerstoßenen und gemahlenen Zähnen ehemalig träumender Menschenkinder gefüllt und nährte sie seit heute Nacht. Denn, wie schon erwähnt, ihr allnächtlicher Job aus Überzeugung hatte sie endgültig zur Altersinvalidin gemacht.
Der weltgrößte Rangiermeister von damals kommentierte gerade einen der häufigeren Rangierunfälle seit der digitalen Umstellung und zählte seiner unaufmerksamen Zuhörerin querbeet und -feldein seine ehemaligen Heldentaten auf, als er damals noch persönlich die Überwachsungs- und Steueranlagen bediente, die sein früheres Reich ausmachten.
Schmesme jedoch fühlte sich in diesen Dingen nicht mehr wirklich sattelfest. Seitwärts rutschte sie schließlich müde vom Dach, als der nahe Morgen graute und bettete ihr Haupt auf den weichen Flachs ihrer ehemaligen Opfer. Sie hatte sich unbemerkt festgequatscht gehabt, ohne einen Ausweg für ihr Dilemma gefunden zu haben.
© CRSK, LE, 02/2023
Die 8 reizenden Worte:
- mediterran
- jammerschade
- Fernweh
- Gedankenflugverkehr
- tüfteln
- festquatschen (sich)
- querbeet
- sattelfest